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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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keiner durch das Loch spähen konnte. Alle Matratzen waren schon in den Schränken verstaut. Ich holte eine heraus. Wir streckten uns auf der Matratze aus; ich küßte Sachiko, wie ich es in amerikanischen Filmen gesehen hatte. Der erste Versuch schlug fehl: Bei Leinwandküssen war niemals ersichtlich gewesen, daß man die Lippen dabei zu öffnen hatte. Nach ein paar Minuten hatte ich den Trick heraus. Aus Sachikos Reaktion schöpfte ich Mut und griff unter ihre Bluse. Sie hielt mich von sich weg, doch nur, um ihre Jeans über die Beine zu streifen. Kurz darauf sagte sie, ich tue ihr weh. Nach alldem, was ich bisher gehört hatte, meinte ich, das sei doch normal.
    Sie kicherte und sagte, sie habe vielmehr den Eindruck, daß ich etwas falsch mache. Sie zeigte mir dann, worauf es ankam, und anschließend glaubte ich, einiges dazugelernt zu haben. Es war schon so, daß sie ziemlich viel Erfahrung hatte.
    Sie war mein erstes Mädchen. Der Genbaku Dômu rückte in die Ferne. Er schwebte wieder heran, als ich von Isami erfuhr, warum sie nicht heiraten würde: Sie gehörte zu den Frauen, die Gefahr liefen, Mißgeburten zur Welt zu bringen. Sie erklärte mir das alles sehr sachlich. Meine Schonzeit war vorbei. Das, was passiert war, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Ich schuldete es ihrer und meiner Ehre, den Kopf nicht mehr in den Sand zu stecken. In der Bibliothek besorgte ich mir einige Bücher. Ich sah Abbildungen, die man lieber nicht sehen sollte, nicht einmal im Traum: Babys ohne Augen und ohne Gehirn, zwergköpfig oder zweiköpfig, mit offener Wirbelsäule, Finger wie Flossen und Arme, die aus der Hüfte wuchsen. Inzwischen verstand ich etwas mehr von Ursache und Wirkung und rauchte eine Zigarette, statt ins Gebüsch zu kotzen. Der kleine Junge, der den Teufel gesehen hatte, wußte, als er ein Mann wurde, daß auch er ein heimgesuchter Mensch war: daß der Teufel auch in ihm steckte.
    Isami blieb also für sich. Nicht, daß sie das alles unberührt gelassen hätte, aber sie war in ihrer Jugend in tiefere Wasser getaucht. Ich kann nicht sagen, ob Isami jemals ein ›hübsches‹ Mädchen war. Bringt man das Wort ›hübsch‹ mit einer guten Figur und einem regelmäßigen Gesicht in Verbindung, war Isami zweifellos keine Schönheit. Sie war hoch gewachsen, überschlank. Ihr Körper schien seltsam unvollendet, konturenlos, die Hüften, die Brüste nur angedeutet. Ihre Stirn war gewölbt, ihre Augen mit dem hohen Rundbogen und den langen Brauen dunkel und klar, vollkommen die meiner Mutter. Ihr Haar war braun und fein wie das Haar kleiner Kinder, doch so füllig und lang, daß es wie eine Wolke bis zu ihrer Taille fiel. Griff man hinein, fühlte es sich an wie Seide. Nein, sie war nicht schön: Sie war einzigartig. Stets war sie gleichbleibend ruhig, sagte kaum ein Wort lauter als das andere und legte mich mit treffsicherem Spott im Handumdrehen aufs Kreuz. Ich war ein taktloser Flegel, ein widerspenstiges Füllen. Isami gab mir jede Menge Freiraum, ließ mich rebellieren und hielt trotzdem die Zügel straff –
    rückblickend ein ganz erstaunlicher Dressurakt. In einem Alter, wo Jungen eine 359
    hohe Meinung von sich haben, lernte ich bei ihr, mich nicht allzu wichtig zu nehmen. Meine überschäumenden Lebenskräfte bändigte sie durch Sport: Leichtathletik. Judo. Universitätsmeisterschaften im Wettschwimmen, die ich zweimal im Crawl gewann.
    Zum Glück war Isami – wie die meisten Japanerinnen – in Geldangelegenheiten auf Draht. Wir besaßen noch ein Grundstück in Hiroshima, auf dem das Haus meiner Großeltern gestanden hatte.
    Als die wirtschaftliche Lage sich besserte und die Bodenpreise stiegen, verkaufte Isami das Grundstück, auf dem ein Bürokomplex erbaut wurde. Mit dem Geld konnten wir endlich besser leben. Isami richtete sich im Haus ein Atelier ein; fortan schrieb und malte sie nur noch. Sie wurde berühmt. Ihr Buch ›Der weiße Regenbogen‹ gewann eine Auszeichnung und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Es erzählt von einem Jungen, der nach dem Abwurf der Atombombe einen weißen Regenbogen im Sonnenlicht sieht und in diesem Regenbogen das Zeichen des Todes erblickt. Dem Jungen gelingt es, durch gute Taten das Böse zu bannen und den weißen Regenbogen in einen farbigen zu verwandeln, der sich wie eine Brücke über die Erde spannt und alle Menschen vereint.
    Fast alle ihre Bücher erzählten in Märchenform von diesem Kindheitserlebnis.
    In einigen Schulen wurden sie sogar zur

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