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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mit der Natur zu leben und in 370
    ihr aufzugehen wie ein Nebelhauch. Dort, in der trockenen Luft Südfrankreichs, funkelte der Mond aufreizend und scharf, wie ein Säbel, und er lockte mich nach Arles. Warum? Ich wußte es nicht. Und gleichzeitig fühlte ich: Die Zeit war abgelaufen, ich kam zu spät, ich hatte versagt. Ich fühlte es ganz deutlich. Mir war, als müsse ich innerlich explodieren. So viel hatte sich in mir angestaut, es war ein dunkler Klumpen Haß, eine tödliche Wut in mir, gemischt mit Sehnsucht, Einsamkeit, dem Schmerz vergangener und kommender Tragödien.
    Und dann kam jene Nacht, in der ich mich in einer Bar betrank und dann mit einem Typen prügelte, der etwas an meiner Augenform auszusetzen hatte.
    Rassistische Bemerkungen bekam ich selten zu hören. Aber wenn, dann reagierte ich mit ein paar Atemzügen Verspätung, bis mir klar wurde, daß sie mir galten.
    Dann aber gab es einen Knall. So auch an jenem Abend. Der Kerl hing eine Sekunde in der Luft, bevor er über zwei Barhocker flog. Leider zeigte der Wirt wenig Sinn für einen vollendeten Hadakajime-Griff und setzte mich vor die Tür.
    Mitternacht war längst vorüber. Mit hängendem Kopf und zusammengebissenen Zähnen wankte ich um ein paar Ecken und stand plötzlich in einem Hinterhof voller Mülltonnen, aus denen Abfall quoll. Gleich dahinter erhob sich eine alte Mauer, stockfinster. Meine Blicke wanderten höher, richteten sich auf das dort sichtbare Viereck kühlen, klaren Himmels. Dort oben war der Zeitmesser des Universums, ich sah sein kristallenes Antlitz, so fern… so unerreichbar. Das Mondlicht fiel nicht in diesen Hinterhof; ich kam mir gefangen vor, wie in einem Brunnenschacht. In der unergründlichen fremden Stille hörte ich meine eigenen Atemzüge und irgendwo ein weinendes Kind. Nichts als dieses Weinen, leise und verhalten, ein Weinen aus der Dunkelheit, von Schluchzen erstickt. Mich packte der verzweifelte Wunsch, dieses Kind zu trösten, als wäre es ein Stück von mir, Fleisch von meinem eigenen Fleisch. Aber ich konnte nichts tun, ich wußte nicht, aus welchem Haus oder Garten das Weinen kam, und ich war viel zu betrunken, um klar zu denken. Das Gefühl meiner Einsamkeit und Unzulänglichkeit pumpte mir alles Blut aus dem Herzen. Inzwischen hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und ich sah auf dem Boden verrottetes Altmetall liegen, irgendwelche Wellblechplatten, Stücke und Rohre. Betrunkene können sehr stur und methodisch sein. Ich suchte mir die richtigen Eisenstangen aus und wog sie in meiner Hand. Länge und Gewicht waren genau auf meine Größe abgestimmt. Und dann ging ich auf die Mülleimer los. Ich hielt die Stangen wie Schlegel, hob sie weit über die Schultern, schmetterte sie dann mit voller Kraft auf die Mülleimer.
    Der Lärm entlud sich wie eine Explosion, ein ohrenbetäubendes Scheppern, von sämtlichen Mauern zurückgeworfen. Meine ganze Gewalttätigkeit brach aus mir heraus: Wie wahnsinnig hämmerte ich auf die Mülltonnen ein, halb betäubt von dem Radau, den ich selbst verursachte. Ich randalierte musikalisch, holte sogar in Kürze den richtigen Rhythmus heraus. Inzwischen gingen Fensterläden auf, Lichter fielen in den Hof, ein Hund bellte, dann ein anderer, ein richtiges 371
    Begleitkonzert. Ich registrierte, daß Menschen angelaufen kamen, hörte Schritte und Stimmen, sie hallten durch das Dröhnen wie durch irgendein Vakuum. Überall bewegten sich Schatten, ich sah alles doppelt oder dreifach. Das Wort ›Polizei‹
    drang schließlich in mein benebeltes Bewußtsein und weckte in mir unangenehme Assoziationen. Keuchend ließ ich die Arme sinken, lehnte an der verbeulten Mülltonne und blickte erschöpft umher. Meine blutverschmierten Hände schmerzten. Sämtliche Hunde von Arles bellten, der Hof war voller Leute. Einige lachten, ein paar spendeten sogar Beifall und riefen: ›Noch mehr!‹ Ich fluchte auf japanisch, schmetterte die Stangen in hohem Bogen an eine Wand. Zweimal peng!
    – haarscharf an einem Glatzköpfigen vorbei. Der wurde wütend und schrie: ›Fous le camp, sale chintoque‹, worauf in meinem Kopf eine Rakete hochging. Zweimal am gleichen Abend war eindeutig zuviel. Auf dem Boden lag eine Flasche. Ich schlug sie gegen die Kante der Mülltonne, hielt eine Scherbe in der Hand und ging auf den Mann los.
    Ich hatte Glück; ein paar Leute hielten mich fest. Natürlich leistete ich Widerstand, aber da war nicht mehr viel zu erwarten. Eine ebenso effektvolle wie

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