Silbermuschel
regelwidrige Ausführung der klassischen Shizentai- Stellung warf mich mit der Nase in den Dreck. Ende der Vorstellung. Der Glatzköpfige war übrigens kein übler Kerl. Ich lernte ihn etwas besser kennen, als ich mich ein paar Tage später bei ihm entschuldigte.
In Frankreich klicken die Handschellen mit dem gleichen Geräusch zu wie in Japan. Davon abgesehen, war vieles anders. Man steckte mich hinter Gitter, zusammen mit einigen Typen von diesseits und jenseits des Mittelmeers, die alle nicht wußten, was sie von mir halten sollten. Ich kauerte in einer Ecke, scheuerte mit den Schultern an der Wand wie ein Raubtier im Zoo, während mich alle anstarrten. Ich war wie berauscht vor Wut, einer Wut, die einzig mir selbst galt, aber das konnten sie natürlich nicht wissen.
Die Zelle war stickig und voller Wanzen, und auf dem Klo wurde es mir übel.
Die Polizeibeamten trugen zerknitterte Uniformen, sahen halb verschlafen aus und rochen nach Knoblauch. Nach einer Nacht hatte ich von alldem genug.
Ich hinterließ eine Kaution und wurde frei gelassen. Strafanzeige war nicht erstattet worden. Auf meinen Händen waren blaue und geschwollene Stellen sichtbar. Meinen Wagen fand ich dort, wo ich ihn stehen gelassen hatte. Ich setzte mich ans Steuer und fuhr auf einem Uferweg die Rhône entlang. Ich wollte fern von den Menschen, von ihren Stimmen und Gerüchen sein. Das kühle Morgenlicht, hauchfein wie eine Seifenblase, ließ die Mauern der Altstadt rosig erglühen; Funken tanzten auf dem Wasser. Nach einer Weile ließ ich den Wagen stehen und ging zu Fuß weiter. In der Ferne krähten Hähne, auf den Hügeln meckerten Ziegen.
Die Luft duftete nach Minze und Lavendel, die zauberhafte Sonne strahlte überall hin, jeder Zweig, jeder Stein warf einen langen Schatten.
Das Gras am Flußufer, für gewöhnlich trocken, herb und gelb, wirkte in diesem 372
Augenblick weich und strahlend und glänzte vom Tau. An manchen Stellen gebärdete sich das Wasser ziemlich wild, aber ich war ein guter Schwimmer. Ich fand einen geeigneten Platz unter einigen Eukalyptusbäumen und zog meine verschwitzten Sachen aus. Dann stieg ich die Böschung hinunter und warf mich in den Fluß. Das klare Wasser schwappte in Wellen um mich herum, die springenden Wassertropfen glitzerten regenbogenfarbig auf meiner Haut. Alle Bitterkeit entschwand aus mir, als ich mich der Strömung überließ. Das Wasser spült alle bösen Gedanken weg, reinigt und heilt mit magischer Kraft. Denn das Wasser, das niemand greifen kann, ist ja selbst eine Erscheinung, aufsteigend zu den Wolken, zu Gott.
Genau das war es, was ich brauchte. Und so schwamm ich weiter, immer weiter, mit dem Wind in meinem Haar. Die Spiegelungen des Wassers kamen und gingen und veränderten sich wie ein facettenreiches Kaleidoskop, und das verlorengeglaubte Gefühl der Vertrautheit mit der Natur kehrte zu mir zurück. Ich fühlte die läuternde Kraft des Wassers und der Luft. Der lebendige Glanz der Sonne, der durchsichtige Himmel und die hohen, wehenden Eukalyptuszweige funkelten wie ein kristallener Raum. Mit den bösen Mächten hatte ich abgerechnet: Sie blieben draußen, jenseits dieser gläsernen Welt, in der ich allein war mit den singenden Wassern. Die Wellen hoben und senkten mich, und manchmal überspülte mich ein Kamm. Nach einer gewissen Zeit wendete ich und schwamm stromaufwärts. Der Kampf gegen die Wellen war kein Kinderspiel, aber in meinen abgespannten Muskeln wartete die Energie nur darauf, losgelassen zu werden. An der Biegung des Flusses wandte sich die Strömung dem Ufer entgegen. Ich ließ mich von den Wellen tragen.
Erschöpft und entspannt schwamm ich dem Ufer zu. Mein Herz hatte wieder Frieden gefunden. Ich trug in mir die Klarheit des Wassers, eine wunderbare Kühle, ein helles, diamantenes Licht, das Gefühl des Einsseins mit mir selbst, mit der lebendigen Schöpfung. Isamis Widmung fiel mir wieder ein. War das der Sinn der Worte, die sie für mich geschrieben hatte? Ich ahnte, da war noch mehr. Aber was es war, das wußte ich nicht. Ich fühlte es nur im Herzen. Es war ein Leuchten, und es war ein Schmerz.
Ich kletterte die Böschung hinauf; in der Ferne hörte ich Lachen und Stimmen.
Frauen gingen zur Olivenernte. Und da ich nicht wieder im Knast landen wollte, diesmal als Exhibitionist, zog ich notgedrungen wieder meine dreckigen Jeans an und fuhr in die Stadt zurück. Auf dem Flohmarkt kaufte ich mir neue. Die schmutzigen Sachen warf ich in einen Abfalleimer, bevor
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