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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Midori hatte ein vollendet regelmäßiges Gesicht, eine feine, gerade genügend lange Nase und einen Mund mit weitgeschwungenen Lippen. Die Augen waren groß und mandelförmig, die Wimpern schimmernd wie Holzkohle. In ihren Gesichtszügen lag etwas, das mir vertraut vorkam, bis mir klar wurde, daß sie in ihrer Art, Augen und Mund zu bewegen, etwas von meiner Mutter hatte. Sie war bedeutend kleiner als ich, zart, schmalgliedrig, immer perfekt gekleidet und frisiert.
    Unter ihrer Zurückhaltung war eine Art Feuer unter dem Eis zu spüren, das mich erregte. Wir gingen einige Male zusammen aus. Midoris Vater war Generaldirektor eines Filialunternehmens. Midori selbst sprach ziemlich gut Englisch, und ihr gebrochenes Französisch hörte sich charmant und drollig an. Ihr beruflicher Ehrgeiz hielt sich in Grenzen; sie wollte nichts anderes als ein paar Jahre jobben und dann heiraten. Ich dachte, warum eigentlich nicht? Irgendwie kam mir das vernünftig vor. Midoris Leben sollte etwas Durchschnittliches sein, das meine nichts Auffälliges mehr und erst recht nichts Tragisches. Ich wollte Ordnung in meine Gefühle bringen, mich nicht mehr mit der Frage herumplagen, warum ich lebte. Und keinen Sehnsüchten mehr nachrennen, die ich nicht begreifen konnte.
    Midori zum vorehelichen Sex zu bewegen war kein Problem gewesen.
    Innerhalb einer Firma sind Liebschaften an der Tagesordnung, ebenso wie in 377
    Europa, nur hängen wir unsere Affären nicht gern an die große Glocke. Wie allen japanischen Männern war mir schnuppe, ob ich bei einer Frau der erste, der zweite oder der fünfzehnte war, ich wollte nur keine Katze im Sack. Doch ich hatte Midori richtig eingeschätzt; obgleich sie weniger wußte als manche Europäerin, wußte sie doch genug. Und ich hätte eine schlechte Meinung von mir gehabt, wenn ich bei einer Frau gelegen und es nicht fertiggebracht hätte, sie zu erwärmen.
    Doch die Wahl des Ehepartners stellt endgültige Weichen, auch für die Familie.
    Aus der privaten Angelegenheit wird eine offizielle Sache. Brav und erfolgversprechend, wie ich aussah, kam ich als zukünftiger Ehemann durchaus in Frage. Midori war als Einzelkind wohlbehütet aufgewachsen, und ihre Eltern hingen an gewissen Konventionen. Der Berufskollege übernahm die Rolle des Vermittlers. Ich lernte Midoris Familie kennen. Man beschnüffelte sich in formeller Höflichkeit. Ich wurde einer genauen Analyse unterzogen: gesellschaftliche Stellung, Ausbildung, Verdienst. Meine zukünftigen Schwiegereltern waren sachverständige Kunstliebhaber. Ich hatte auch diesbezüglich den geeigneten Background und stand nicht vor einem Francis Picabia wie ein Ochse vor dem Berg. Kurzum, man hatte den Eindruck, daß wir zueinander paßten.
    Ich sprach sehr offen über vieles, aber nicht über alles. Ein Instinkt warnte mich: Midoris Eltern waren großzügige Menschen, aber in ihrem Rahmen gefangen. Ein Schritt darüber hinaus, und sie spürten das Chaos. So ließ ich durchblicken, daß mein Vater an den Folgen seiner Verletzung in Malaysia gestorben war, was – in gewisser Hinsicht – der Wahrheit entsprach. Meine Mutter ihrerseits war ein Opfer der Entbehrungen während der Kriegsjahre, und auch das traf zu. Den Abwurf der Atombombe hatten wir nur aus der Ferne miterlebt, was wiederum nicht gelogen war.
    Etwas jedoch durfte ich Midori nicht verschweigen, auch auf die Gefahr hin, sie zu verlieren. Und als ich erst mal anfing, mich mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen, wurde ich so verstört, daß ich meine ganze Kraft aufbieten mußte, um mir das nicht anmerken zu lassen. Der einzige Mensch, mit dem ich darüber sprechen konnte, war Isami. Ich erzählte ihr also von meiner Angst. Es war eine Angst, die ich seit Jahren mit mir herumtrug, die zuschlug wie der Blitz, sobald ich nur einen Gedanken daran verlor. Sie war weder sinnlos noch gegenstandslos, sondern sehr konkret. Sie regte sich tief in meinem eigenen Inneren, jene Angst, die mich zum erstenmal ergriffen hatte, als ich erfuhr, daß Isami strahlengeschädigt war; als ich, der verstörte Achtzehnjährige, die Bücher mit den Abbildungen der Mißgeburten aufgeschlagen hatte. Und wie stand es mit mir? Die Frage rückte plötzlich in den Vordergrund, wurde überlebensgroß, erstickte mich fast. Wenn ich mit einer Frau schlief, war ich immer vorsichtig gewesen. Nahm sie keine Pille, nahm ich ein Präservativ. Doch jetzt wollte ich eine Familie, wollte Kinder. Die Hölle, die ich als kleiner Junge erlebt hatte,

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