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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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    wieder real in mir. Isami gab mir die Adresse eines Arztes. Inzwischen hatte man auf dem Gebiet der Genforschung ziemliche Fortschritte gemacht. Ich biß die Zähne zusammen und ließ mich untersuchen. Der Arzt beruhigte mich: Ich verfügte über ein ausnehmend starkes Immunsystem, und nicht das Geringste deute darauf hin, daß ich jemals ein geschädigtes Kind zeugen würde. Ich zeigte Midori das ärztliche Gutachten. Ich wagte kaum zu atmen, doch sie reagierte gelassen. Im allgemeinen denken japanische Frauen sehr sachlich. Ich konnte buchstäblich spüren, wie sie in ihrem Kopf das Für und das Wider abwog. Wie ich schon sagte, empfanden wir füreinander eine starke erotische Anziehung. Ich nehme an, das spielte eine Rolle. Kurzum, Midori erwiderte, der Befund sei ja eindeutig und ich solle mir keine Sorgen machen. Wir kamen jedoch überein, ihre Eltern nicht davon in Kenntnis zu setzen. Wir heirateten im April. Die Hochzeit fand im vornehmen Hotel Okura statt. Anschließend fuhren wir für eine Woche nach Hawaii, Honeymoon wie in einem kitschigen Film, mit Cocktail im Smoking und Abendkleid, Sonnenuntergang und Palmen am Meer.
    Als Mitarbeiter in leitender Stellung wurde von mir erwartet, daß ich ein standesgemäßes Haus in einem guten Viertel bezog. Einen Teil der Kosten übernahm die Firma. Midori, die ihre Stelle selbstverständlich aufgegeben hatte, richtete alles sehr geschmackvoll ein. Für mich begann das tägliche Leben des japanischen Salariman: täglich eine Stunde Fahrt mit der U-Bahn, Überstunden, Golfspielen, Barbesuche mit Kollegen und abends Essen, Baden und ins Bett, mit oder ohne Sex. Ich redete mir ein, daß ich älter wurde, daß mein vorprogrammiertes Dasein nicht sinnlos war. Zu Hause hieß es immer, ›Kenchan, mach dies, Kenchan, mach das‹, und ich motzte deswegen ganz schön herum. Aber Midori schätzte es überhaupt nicht, wenn ich mich einmischte. Der Haushalt war Frauensache, ihr eigener Vater hatte nie einen Finger gerührt. Ich machte es ihr nie recht, und sie wurde ungehalten, wenn ich die Teller im Schrank nicht an die richtige Stelle setzte. In den ersten Monaten nahm ich das alles in Kauf. Tagsüber war Midori lieb und zurückhaltend und hatte die elegante Anmut einer Tochter aus gutbürgerlichem Haus. Doch die Nacht hat ihre eigenen Gesetze; und hätte sie im Bett ihre Wohlerzogenheit beibehalten, hätte sich unsere Ehe nicht sieben Jahre gehalten.
    Im zweiten Jahr wurde Midori schwanger. Die folgenden neun Monate gehörten zu den schlimmsten Erfahrungen meines Lebens. Was ich noch davon weiß, sind vage Umrisse von Tagen, die kein Ende nahmen, von Nächten, in denen mich die alten Alpträume heimsuchten und ich vor Angst schauderte, während Midori neben mir schlief.
    Wollte ich nachdenken oder arbeiten, konnte ich mich nicht konzentrieren. Ein ständiges Würgen quälte mich. Ich trank viel nach Arbeitsschluß, allein oder mit Kollegen, wurde zum Kettenraucher. Ich lächelte oder lachte, aber das blieb an der Oberfläche, meine Ängste wuchsen wie das Baby in Midoris Schoß, ich verstrickte 379
    mich in aufreibende Selbstgespräche. Punkt eins: Du mußt damit rechnen, daß du ein geschädigtes Kind gezeugt hast. Punkt zwei: Es ist durchaus nicht sicher. Du kannst nichts anderes tun, als zu leben und abzuwarten. Punkt drei: Geh doch nach Hiroshima und sieh dir die Kinder an! Sind die nicht alle gesund und schön?
    Warum solltest ausgerechnet du ein Monstrum zeugen? Punkt vier: Aber es kommt doch immer wieder, allenthalben vor. Punkt fünf: Reiß dich zusammen, du Idiot!
    Punkt sechs: In diesen Dingen herrscht keine Allgemeingültigkeit. Hör auf, dein höchst privates Trauma zu pflegen und erspare Midori um alles in der Welt deine Seelenzustände.
    Ich bewahrte Selbstbeherrschung, machte ein heiteres Gesicht und Pläne für die Zukunft, aber es ging fast über meine Kraft. Midori war sehr ruhig; ihre Gelassenheit wirkte tröstend. Sie fühlte sich gut, auch als sie schwerfälliger wurde.
    Alle Untersuchungen bestätigten, daß das Kind normal war. Aber es bedurfte mehr, um das heraufbeschworene Schattenbild in mir zu verjagen. Midoris Wehen begannen, als ich mich gerade für die Firma in Nagoya aufhielt. Ich ließ alles stehen und liegen und fuhr nach Tokio zurück. Als ich heimkam, war ihre Mutter schon bei ihr. Wir fuhren sofort zum Krankenhaus. Ich wollte bei der Geburt anwesend sein, ein Wunsch, der damals auf wenig Verständnis stieß. Aber ich setzte meinen

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