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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ihr den winzigen Slip ab. Ich fühlte sie mit den Händen und den Lippen auf der bloßen Haut, wie ich eine Frau noch nie gefühlt hatte. Wir fielen gegen die Wand, gegen den Kleiderhaufen. Ich hielt sie eng an mich gepreßt, unsere Herzen schlugen in einem Rhythmus.
    Noch heute sind mir Details in Erinnerung: die beiden Gläser mit dem Whiskyrest, der Aschenrest der Zigarette, der Geruch nach Schminke und Parfüm.
    Und während ich Antonias lebenswarmen Körper in den Armen hielt, wanderten meine Blicke zum Spiegel und nahmen in der Verdunklung ihr Spiegelbild wahr, die lange Rückenlinie, die Hüften. Sie war völlig nackt, nur die Maske hing über ihre Schultern. Im Spiegel sah ich das weiße Antlitz verkehrt, von unten nach oben.
    Ich bemerkte die Melancholie der Lippen, die Leere der emporstarrenden Augenhöhlen. Sie waren erst jetzt erkennbar, als ich sie im Spiegel betrachtete: zuerst Stück für Stück, dann als Ganzes, als Eindruck, als Atmosphäre, bis alles ineinanderfloß. Wir fielen in den Zustand jener Leidenschaft, die kein Nachdenken kennt. Wollust hat ihre eigene Unschuld. Wir liebten uns, treibend und steigend und fallend in die unberechenbaren Strömungen des Verlangens. Es war gut wie noch nie: der heftigste, unvergeßlichste Augenblick unseres Zusammenseins.
    Und es war auch der letzte.
    Im Juli wurde ich von der Firma für zwei Wochen nach Osaka geschickt.
    Stundenlange Arbeit im Computerraum, Besprechungen, Geschäftsessen, 395
    Überstunden, Barbesuche. Das Übliche. Eine graue Dunstglocke lastete über der Stadt, es regnete Bindfäden. Schon morgens klatschten die Tropfen gegen die Fensterscheiben, und spät in der Nacht, wenn ich zu meinem Hotel zurückkehrte, prasselte der Regen noch immer auf den schwarzen Asphalt. Ich legte mich auf das Bett, drehte den Fernseher an, rauchte und trank Whisky. Von den fernen Wohnblöcken schimmerten Lichter wie Sterne herüber und schwebten im Raum.
    Ich war unendlich einsam.
    Dann, von einem Tag zum anderen, wurde der Himmel wolkenlos und blau, die Sonne brannte. Als ich wieder in Tokio eintraf, herrschte heißes Sommerwetter.
    Antonia würde bald nach Europa fahren, ich wußte nicht mehr genau, wann. Ich hatte sie von Osaka aus nicht angerufen. In Tokio suchte ich mit den Augen die kleinen roten Telefonapparate, die überall in den Bahnhöfen zu finden sind. Ein Apparat wurde gerade frei. Ich wählte Antonias Nummer. Ich wußte, daß sie um diese Zeit zu Hause sein würde. Sie nahm sofort den Hörer ab. Unser Gespräch war kurz. Sie sagte mir, daß sie in zwei Tagen fliegen würde. Die Wohnung hatte sie aufgegeben, das Telefon ab morgen gekündigt. Sie wußte nicht, wann sie wieder in Tokio sein würde. Für nächstes Jahr hatte sie kein Engagement. Den Unterricht würde ein anderer Tänzer übernehmen. Ich sagte ihr, daß ich sie vorher noch sehen wolle.
    ›Heute abend?‹
    ›Heute abend geht es nicht. Aber morgen.‹
    Am nächsten Tag machte ich frühzeitig Schluß im Büro und fuhr mit der U-Bahn nach Nakameguro. Ich ging über die Bahnhofsbrücke, bog um eine Straßenecke und stieg die Außentreppe zu Antonias Studio hinauf. Eine Glocke gab es nicht. Ich klopfte. Sie hatte meinen Schatten durch das blinde Fenster über dem Spülstein gesehen; durch den Spalt zwischen Tür und Fußboden hörte ich ihre Schritte. Ihr Gesicht war erhitzt, ihr Haar hing strähnig herunter. Sie trug knappe Shorts und ein ärmelloses T-Shirt. Das Fenster war weit offen, der schmuddelige Vorhang blähte sich im Durchzug. Sie hatte alle Schubladen und Schränke geleert, überall lagen Sachen herum, und vor dem Fenster trocknete Wäsche.
    ›Am Nachmittag arbeitest du nicht?‹ fragte sie.
    ›Was kann es schon ausmachen?‹ sagte ich.
    ›Ich bin beim Packen‹, antwortete sie.
    Ich zog meine Schuhe aus und trat ein; sie schloß die Tür. Ich warf meine Jacke auf den Boden, lockerte meine Krawatte. Sie öffnete den Eisschrank, nahm eine Flasche Bier heraus und stellte sie mit einem Glas auf den niedrigen Tisch. Dann kniete sie neben mir; ihr Gesicht war abwesend, sie schaukelte ein wenig hin und her. Ich zündete eine Zigarette an. Sie beugte sich vor, nahm sie mir aus dem Mund und tat einen Zug. Dann gab sie mir die Zigarette wieder und schob mir den Aschenbecher hin. Ihre feuchtglänzenden Augen waren auf mich gerichtet. Es war etwas in ihnen, ein Schatten, eine Stumpfheit, die ich nicht deuten konnte.
    396
    Vielleicht war sie nur müde. Ich hatte ihr ein Geschenk

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