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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Spiel von Licht und Schatten bewegten sich die Tänzer, verwoben, verflochten, um sich selbst drehend. Ja, es war ein Leben für sich, eine Welt abseits dieser Welt. Ich betrat sie als Fremdling, als Gast, doch immer stärker und zwingender hatte ich das Gefühl, als wäre ich an solchen Orten schon früher gewesen, als erinnerte sich meine Seele an sie. Als wären sie in mein Schicksal eingewoben, seit jeher, lange bevor ich geboren wurde. Vielleicht war es der Schatten meiner Eltern, die mich grüßten und willkommen hießen. Ich suchte sie, und ich suchte mich selbst. Ich sah mich in weiter Ferne wie in einem Spiegel, ein helles Bild, auf das ich zuging.
    Einmal, nach der Probe, als die Tänzer schon gegangen waren und die Techniker die Hauptbeleuchtung ausgeschaltet hatten, blieben Antonia und ich als einzige im Theater zurück. In der Garderobe brannte nur eine trübe Birne. Antonia goß Whisky in zwei Gläser. Dann zog sie einige Kostüme aus den mitgebrachten Plastiktaschen, schüttelte sie, hing sie zum Auslüften in der Garderobe auf. Als letztes nahm sie eine Maske hervor. Während ich am Schminktisch lehnte, meine Jacke zwischen den verschränkten Armen, warf sie ihr Haar zurück, betrachtete gedankenvoll die Maske. Mit einer plötzlichen Bewegung, die sie selber vermutlich gar nicht wahrnahm, so rasch und instinktiv war sie gewesen, setzte sie sich die Maske auf. Es war ein Mädchengesicht, nicht rosig, sondern von weißlichem Licht umstrahlt. Die Bemalung verdunkelte die äußeren Partien der Wangen etwas, und die mandelförmigen Augen waren sehr lang gezogen. Die roten Lippen zeigten ein verführerisches Lächeln, mit einem Hauch von Koketterie. Antonia stand still, betrachtete sich im Spiegel. Ich nahm einen Schluck Whisky, legte meine Jacke über die Stuhllehne. Ohne sie aus den Augen zu lassen, steckte ich eine Zigarette an, tat ein paar Züge. Dann schob ich die Zigarette zwischen die leichtgeöffneten Lippen der Maske. Ich sah, wie Antonia den Rauch einatmete, ihn durch den Mund der Maske wieder ausstieß. Das zu mir emporgewandte Mädchenantlitz reichte mir kaum bis zur Brust. Die Maske entrückte ihre Trägerin in weite Ferne. Ich nahm die Zigarette von den karminroten Lippen, schob sie wieder zwischen meine eigenen. Eine Zeitlang rauchten wir abwechselnd, ohne ein Wort. Ich hörte Antonias Atem hinter der Maske wie das Rascheln des Windes. Das Schweigen zwischen uns verlieh der Ausstrahlung des Raumes, in dem wir uns befanden, eine seltsame Dichte. Nach einer Weile wandte ich mich um, drückte den Rest der Zigarette in einem Aschenbecher aus. Dann trat ich ganz nahe an die Maske heran, steckte ihr behutsam den Zeigefinger in den Mund. Das Mädchenantlitz lächelte unschuldig, während Antonias feuchte Zungenspitze meine Haut berührte. Ihre verborgenen Lippen, weich und lebendig, erfaßten meinen Finger, saugten daran. Ich hob die Maske langsam empor, streifte 394
    sie ganz über Antonias Haar, ließ sie an dem feinen Gummiband über ihren Rücken baumeln. Antonias entblößtes Gesicht erschien vor mir. Ich nahm es zwischen meine Hände, um es zu betrachten. Die Haut war grobporig und fast körnig, nicht weich und perlmuttfarben wie die von Midori. Die feuchtglänzenden Augen bewegten sich leicht hin und her, und die Lippen waren nach unten gezogen. Ihre Gesichtszüge hatten sich nicht verwischt wie bei manchen Gesichtern mit zu feinen Zügen, es hatte straffe Konturen bewahrt. Und doch war es ein gezeichnetes Gesicht, vorzeitig verbraucht; in seiner Disharmonie lag etwas verwirrend Erregendes, etwas Reines und Verdorbenes zugleich. Sie trug einen schwarzen Pulli, einen roten Minirock aus Leder und schwarze Strümpfe. Schwarz und Rot, die Farben der Unterwelt. In ihr vereinigten sich Tod und Wiedergeburt, Eros und Thanatos. Sie kannte den Zauber der Erde als stärkende Kraft, lenkte ihre Schritte im Kreislauf der Natur. Sie hatte am Nachthimmel den Schrei der Fledermäuse vernommen, und selbst mit einem Stein als Kissen schlief sie in der Obhut ihres schirmenden Geistes.
    Irgendwann auf meinem Lebensweg hatte ich mich selbst verloren. Sie hatte mich bei der Hand genommen, mich durch den Gang geführt, wo eine Tür sich öffnete. Doch ich konnte nicht von dem sprechen, was ich hörte und sah. Es war eine Sache zwischen mir und meinem Gewissen.
    Ich riß sie in meine Arme. Wir fielen übereinander her, stürmisch, keuchend, mit nie erlebter Intensität. Ich zerrte ihr die Kleider vom Leib, riß

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