Silbermuschel
meinetwegen Kummer hättest. Es ist deine und ihre Angelegenheit.«
Er umfaßte meine Handgelenke.
»Das glaubst du ja wohl selbst nicht.«
430
Er zog mich an sich, preßte sein Gesicht ganz dicht an meines, zog langsam und tief meinen Atem in sich ein. Meine gespreizten Finger krallten sich in seine Brust. Er öffnete die Lippen, überließ sich meinem Kuß mit einer ganz besonderen Nachgiebigkeit. Ich fühlte sein Erschauern, konnte es durch seinen ganzen Körper hindurch verfolgen, bevor er mich in seine Arme schloß. Mehrere Herzschläge lang standen wir Mund an Mund, die Augen geschlossen. Dann sahen wir uns an, aufgewühlt und nahezu benommen, bis er sich beherrschte und mich los ließ.
»Ich rufe sie an«, sagte er heiser. »Jetzt, sofort. Aber nicht hier. In einer Telefonzelle.«
Ich nickte wortlos. Er hob mein Kinn mit zwei Fingern, seine Lippen wanderten über mein glühendes Gesicht.
»Du bist meine Frau«, sagte er.
Dann drehte er sich um, stieg in seine Turnschuhe wie in Pantoffeln und ging aus dem Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. Fort war er.
Keuchend stand ich da; ich fühlte wieder die Schwäche von früher, den flatternden Puls, die Beine, die unter mir nachgaben. Ich machte zwei Schritte bis zum Bett und ließ mich hineinfallen. Meine Lippen pochten, irgend etwas in meinem Leib tat mir weh. Ich wickelte mich in Kens Jacke, preßte sie an mich mit beiden Armen. Da lag ich nun und starrte zur Decke. Die Lichter von draußen schwammen vor meinen Augen hin und her. Es war so ein langes, beinahe endloses Warten. Ach, Ken, es ist zu schwer, ich schaffe es nicht! Ich glaube, ich fange wieder an zu spinnen. Die Zeit soll verlöschen. Die Zeit soll nicht mehr sein.
Alles vergessen, wie früher. Nicht mehr diese dumpfe, angstvolle Ungewißheit spüren, nicht einmal mehr wissen, wo ich bin…
Ich kämpfte so lange wie möglich dagegen an. Ich wollte nicht schlafen; ich wollte aufstehen, mir Wasser ins Gesicht spritzen, die Hände unter dem Wasserstrahl kühlen. Und dann den elektrischen Kocher einschalten, einen Becher heißen Tee trinken. Aber es war schon zu spät. Ich hatte Bleigewichte an den Füßen; es war, als ob mein eigener Körper mir fremd wurde. Ich rollte mich zusammen, die Arme an mich gepreßt, die Knie ganz fest hoch gezogen, beschützt von Kens Jacke. Ich suchte seine Wärme, atmete seinen Geruch ein. Es war ein Stück von mir.
Im Halbschlaf hörte ich seine Stimme, weich und rauh zugleich.
»Schläfst du?«
Ein Luftzug strich über mein Gesicht. Ich schlug die Augen auf und sah ihn über mich gebeugt. Alles war gut. Er war wieder da.
»Es tut mir leid«, sagte er, »es hat etwas länger gedauert.«
Ich hob beide Hände, schlang die Finger um seinen Hals, sah ihn fragend an. Er bewegte leicht das Gesicht über mir, streichelte mich mit seinem Haar. Ich nahm eine Strähne zwischen die Zähne, zog daran. Schließlich seufzte er.
»Sie will mich sehen. Ich glaube, sie begreift es nicht ganz.«
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Woher auch? dachte ich. Sie ist das Opfer eines Geschehens, das sie nicht beeinflussen kann. Du bist nicht der Mann, der leichtfertig sagt: »Ich nehme keine Rücksicht auf dich.« Er verzog leicht das Gesicht.
»Vielleicht sollte ich nicht mehr davon reden. Daß wir Japaner Gefühlsausbrüche unter Kontrolle halten, gehört sozusagen zu unserem Markenzeichen, vorwiegend in amerikanischen Romanen. Leider entsprechen wir im seltensten Fall dieser hehren Erwartung. Und jetzt bist du deswegen unglücklich.«
Ich legte ihm rasch den Finger auf den Mund.
»Sei still. Du bist es, der unglücklich ist.«
»Nein. Von dem Augenblick an, als ich mich für dich genauso verantwortlich fühlte wie für mich, lag die Entscheidung nicht mehr bei mir. Der Lauf der Liebe läßt sich nicht lenken. Du und ich, wir brauchen einander. Aber Mitsue brauche ich nicht. So brutal es klingen mag – das ist der Unterschied.«
Sie hat dich wenigstens eine Zeit gehabt, dachte ich. Vielleicht hat sie dich geliebt: Nur dein Geheimnis hat sie nicht erkannt. Sie wußte nichts von der Flamme in deinem Herzen.
»Ich hätte das alles längst erledigen sollen«, sagte er bitter. »Ich wollte mich schonen, da siehst du, was dabei herauskommt. Mitsue fühlt sich hintergangen, und das mit gutem Grund. In einer Telefonzelle von Schicksal und Vorbestimmung zu reden hört sich lächerlich an. Und die ganze Zeit dachte ich nur an dich; ich wußte, daß du Angst hattest und auf mich wartetest. Ich sagte zu
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