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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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war auf einmal warm geworden. Wie es in größeren Höhen oft vorkommt, war es im prallen Licht sengend heiß, während auf der Schattenseite kühler Wind wehte. Wir saßen beide auf den flachen Kissen, den Rücken an das Holz der Veranda gelehnt. Ken hielt den Arm um mich, blickte mich in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Spott an. Er schien völlig heiter, sprach von sich selbst wie von einem Menschen, für den er freundschaftliche Zuneigung, aber auch eine Art amüsierter Nachsicht empfand.
    »Ken… es hört sich zwar abgeschmackt an, aber ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr.«
    Er streichelte mein Haar.
    »Wieso abgeschmackt? Wir verbringen ja unser ganzes Leben damit, auf die Liebe zu warten. Aber diese Sehnsucht behalten wir für uns, aus Angst, daß andere uns belächeln. Die Liebe jedoch ist wie ein Komet, dessen Umlaufbahn unser Leben nur einmal berührt.«
    »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du eines Tages nicht mehr da sein solltest…«
    »Liebste«, erwiderte er, »eines Tages sind wir alle nicht mehr da. Wenigstens nicht mehr in dieser Form.«
    »Anders?«
    »Ja, anders.«
    »Mir gefällt es so, wie es jetzt ist«, sagte ich.
    Er beugte sich zu mir herunter und küßte meinen Nacken.
    »Mir auch. Und wie! «
    »Was hast du in diesen drei Jahren denn eigentlich getan?« fragte ich.
    »Was ich getan habe? Nun, alles mögliche. Ich habe mir ein bißchen die Welt angeschaut, ein paar ausgefallene Berufe ausgeübt. Viele nette Menschen kennengelernt und auch einige weniger nette. Eine Menge Dummheiten gemacht und vielleicht auch zwei oder drei Dinge, die nicht so übel waren. Stets habe ich vorwärts blicken wollen und nie hinter mich. Doch die Erinnerungen waren immer da, ich brauchte sie nur zu rufen. Und schließlich habe ich eingesehen, daß sie zu mir gehörten. Das Schicksal teilt seine Schläge aus, aber Schmerzen kann man in Erfahrung verwandeln. Das Wesentliche aus meinem Leben weißt du jetzt, aber noch nicht alles. Ich habe dir noch viel zu sagen. Ich werde dir von Dingen erzählen, die gesehen und erlauscht oder vielleicht auch kaum beachtet wurden und die erst in der Erinnerung ihre wahre Konsequenz erfuhren. Unser halbes Leben verbringen wir damit, unsere Seele zu formen. Dann aber spricht sie zu uns mit jedem Herzschlag, und wir hören, was sie uns zu sagen hat. Dann nämlich sind wir eins mit uns selbst. Und in dem Maße, wie man sich selbst liebt, liebt man auch die anderen mehr. Siehst du, jetzt ist der Morgen fast vorbei. Wir sollten längst weiterfahren und sitzen immer noch da. Bloß, weil meine Uhr steht und ich ein 427
    Schwätzer bin.«
    »Warst du nicht auch ein Zuhörer?« fragte ich.
    »Ja, richtig. Ich hatte es mal nötig, Bilanz zu ziehen.«
    Wir sahen uns an. Traurig und doch lächelnd hielt ich seinen Arm fest.
    »Du hast gesagt… du würdest bei Frauen immer aufpassen… Ich meine, du hast mich nicht gefragt, ob ich die Pille nehme. Und du hast auch kein Kondom gebraucht.«
    Er kicherte leise.
    »Ich vermute, ich hatte ein bißchen den Kopf verloren.«
    »Ich auch«, flüsterte ich.
    Sein Ausdruck wurde ernst. Er streichelte mein Gesicht, sehr langsam, sehr bewußt; seine weichen Fingerkuppen bewegten sich über meine Haut, zeichneten jede Linie nach, wie um sie zu erforschen und auswendig zu lernen.
    »Ich glaube, ich wünschte mir ein Kind von dir. Schon vom ersten Augenblick an. Ohne daß es mir bewußt war. Bei allen anderen Frauen zuvor hatte ich das niemals empfunden.«
    Traurigkeit stieg in mir auf. Ich legte mein Gesicht in seine Handfläche.
    »Ken, was redest du dir da zusammen? Du weißt doch, ich bin unfruchtbar…«
    Er zog mich zu sich empor, bewegte das Gesicht hin und her, wie er es manchmal tat, streichelte mich mit seinem Atem. Ich blickte ihn an, schmerzerfüllt und voller Verlangen. Behutsam schloß er die Lippen um meinen Mund.
    »Nein«, sagte er, und mir war, als töne seine Stimme in meinem Blut.
    428

29. KAPITEL
    V on der Küstenstadt Niigata gingen täglich mehrere Fähren zur Insel Sadoga-Shima. Ken wollte mit dem Tragflächenboot fahren, das für die Strecke kaum eine Stunde benötigte. Aber es war die Zeit der Schulausflüge, und die Schiffe waren überbelegt. Schließlich gelang es Ken, Fahrkarten für das Tragflächenboot zu ergattern, das morgens um halb acht startete. Das bedeutete, daß wir eine Stunde früher am Hafen sein mußten.
    »Ein bißchen früh?« meinte Ken.
    »Das macht nichts.«
    Die Sonne sank; kalter Wind blies

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