Silbermuschel
Licht, hielt den Kopf unter den Wasserhahn. Verdrossen betrachtete ich mich im Spiegel, suchte Isami in meinem Gesicht. Ich starrte immer näher und näher hin, bis mein Atem den Spiegel trübte und ich die Feuchtigkeit mit dem Ärmel wegwischen mußte. Mir war übel, und der Kopf tat mir zum Verrücktwerden weh.
›Es tut mir leid, O-Neesan. Es wird nicht wieder vorkommen‹.
›Ein weiser Entschluß, Kenchan‹, sagte Isami. ›Du hast mal wieder nicht den besten Eindruck gemacht, zum Glück bin ich von dir so allerhand gewöhnt. Und deine destruktive Stimmung imponiert mir nicht.‹
Ich trank Wasser aus der hohlen Hand, trocknete mein Gesicht ab und kämmte mir die Haare. Die leere Flasche brachte ich in die Küche. Dann stellte ich das Gas ab und schloß die Fensterläden. Bei jedem Schritt preßten meine Füße die Matten leicht zusammen, es klang wie ein ersticktes Atemholen. Ich zog alle Schiebetüren zu. Das schleifende Geräusch hatte etwas Endgültiges an sich. Als ich in den halbdunklen Gang trat, nahm das Holzhaus mit leisem Knirschen Abschied von mir. Ich griff nach meiner Jacke, zog meine Schuhe auf dem Steinfußboden im Eingang an. Dann stieß ich die Haustür auf. In den Büschen zirpten Grillen. Eine Frische lag in der Luft, die meine Kopfschmerzen etwas linderte. Eine Zeitlang stand ich dort, als sei ich losgelöst von dieser Erde.
›O-Neesan, ich habe solches Heimweh nach früher.‹
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›Das ist vorbei, Kenchan. Du bist jetzt erwachsen‹.
›Bin ich das wirklich?‹
›Du schaffst es schon. Du hast Geburt und Tod miterlebt, den ewigen Kreislauf.
Jetzt mußt du lernen, was dazwischen liegt.‹
Tief in der Erde schliefen die Irisknollen, die letzten Mokusei- Blüten verströmten ihren betörenden Duft, und nur die Bäume blickten zum Mond empor: zartgelb und etwas neblig zu Beginn der milden Novembernacht.
›Denk nicht mehr an das, was vorher war. Eines Tages wirst du zurückkommen. Aber dann wirst du ein anderer Mensch sein, und es wird dir nicht mehr viel ausmachen.‹
Hinter der Hecke fuhr ein Lastwagen vorbei, Rockmusik drang aus der Ferne herüber, und auf der anderen Straßenseite leuchteten die Fenster der Hochhäuser.
Ich drückte den Lichtschalter aus, der das Haus mit all seinen Erinnerungen in Dunkelheit hüllte. Dann schloß ich behutsam die Tür hinter mir. Leise, sehr leise drehte ich den Schlüssel um. Die Geister ruhten in Frieden.
Am nächsten Tag klingelte mein Wecker um fünf. Ich stand auf, mit schwerem Kopf, und faltete meine Decken zusammen. Mein Rucksack war schon gepackt.
Ich stellte mich unter die kalte Dusche, um wach zu werden, und schaltete die Kaffeemaschine an. Dann ging ich in Norios Zimmer. Mein Sohn fühlte sich weich und warm an, wie ein schlafender Vogel. Ich umarmte ihn und flüsterte ihm zu, daß ich jetzt für eine Zeitlang verreisen würde. Norio blinzelte halb wach, seufzte und drehte sich auf die andere Seite. Ich streichelte sein Haar; mir brach fast das Herz; ich wußte, daß ich mein Kind, so wie es jetzt war in dieser frühen Morgenstunde, zum letzten Mal sah. Ich küßte ihn, deckte ihn wieder zu und verließ leise das Zimmer. Der Kaffee war inzwischen fertig. Ich goß Milch über meine Cornflakes und streute einen Löffel Zucker darüber. Inzwischen war es halb sechs geworden. Ich stellte das Geschirr in die Küche, schnallte meinen Rucksack um und schlüpfte in meine Turnschuhe. Midori hörte, wie ich ging, aber sie ließ sich nicht blicken. Die Tür fiel hinter mir ins Schloß. Den Schlüssel ließ ich stecken.
Ich fuhr nach Narita und löste dort eine Flugkarte nach San Francisco. Ich blieb drei Jahre weg. Dann kehrte ich nach Tokio zurück und ließ mich von Midori scheiden. Das Haus in Omote Sandô wurde auf ihren Namen umgeschrieben. Das Haus selber war nicht viel wert, aber bei den steigenden Bodenpreisen brachte ihr das Grundstück ein Vermögen ein. Vor ein paar Jahren erfuhr ich, daß sie sich wieder verheiratet hat. Mit einem Rechtsanwalt, dem die Frau davongelaufen ist.
Da fehlt es ihnen wenigstens nicht an Gesprächsstoff. Sie sollen inzwischen zwei Kinder haben. Und Norio geht auf die gleiche Universität wie ich damals – eine andere kam nicht in Frage – und ist, wie ich bereits sagte, ein Streber. Seine Mutter hat alles dafür getan.
Ich ging nach Sado und gründete meine Gruppe. So war es.«
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Kens weiche Stimme verstummte so plötzlich, daß ich eine seltsame Leere empfand. Im Garten schien die Sonne, es
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