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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sind die Mädchen unrein, so hieß es damals. Heute hat sich vieles geändert. Heute wissen die Mädchen über die Vorgänge in ihrem Körper Bescheid. Sie benutzen keine Stoffbinden mehr, sondern Tampons. Sie sind – wie man sagt – aufgeklärt. Aber für mich war es schon lange zu spät. Schon mit zwölf war es zu spät gewesen. Sie sind noch immer da, die Schatten meiner Kindheit. Sie legen sich auf mich, jeden Monat, wie dunkler Frost. Sie werden erst weichen, wenn die Jugend sich aus mir zurückzieht. Erst wenn du mich nicht mehr begehrst. Wenn mein Körper zerfällt, dann werde ich Frieden finden. Warum nicht hier, in diesem Haus, auf dieser Insel, die alles Böse von mir fernhält, nur das Gute und Gerechte an mich heranläßt? Sei ganz ruhig, Mitsue, ich werde dir niemals weh tun. Keine Eifersucht, keinen Haß.
    Nein. Ich will dich meine Schwester nennen. Ich glaube, es liegt an mir, diese Entscheidung zu treffen. Du hast nur deinen jugendlichen Körper, begreif doch, für ihn ist das nicht genug. Es gibt Dinge zwischen ihm und mir, die du nicht wirklich bis auf den Grund verstehen kannst. Laß uns diese, Mitsue. Sie sind ein Teil von uns. Wir haben zuviel gelitten; das hat uns anspruchsvoll gemacht.
    Ich wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Die Brecher schlugen eintönig an die Küste, und ich hatte das Geräusch des Motorrads nicht gehört. Auf einmal ging die Tür auf. Ich vernahm den Schritt seiner bloßen Füße, seinen raschen Atem, und dann war er schon bei mir, neben mir kniend und mich umarmend, bevor ich mich erheben konnte.
    »Hast du dir Sorgen gemacht? Das sollst du nicht.«
    Ich lehnte mich an seine Brust. Welche Ruhe auf einmal, welche Erlösung!
    »Warum sagst du nichts? Bist du traurig?«
    »Ein wenig.«
    Er schlang die Arme um mich, wiegte mich sanft hin und her. Selbst in meinem blinden Kummer fühlte ich, wie aufgewühlt er war. Und zwar fühlte ich es an der Art, wie er mich streichelte, während sich seine Augen auf verschwommene Bilder richteten, auseinandergerissen wie Regentropfen auf einem Draht. Ja, all das war schwer für ihn. Aber er hatte seine Zustimmung gegeben; und er war stark genug, 457
    sie zu tragen. Ich schmiegte mich an seine warmen Hände, beseligt allein dadurch, daß er da war. War es nicht schon genug, daß er mich in den Armen hielt? Doch alles, was ich spürte, war, daß mir Tränen in die Augen stiegen.
    Er kraulte eine Weile in meinem Haar und atmete tief aus, ehe er sagte:
    »Gomennasai, Liebes. Ich wollte Mitsue von dir erzählen. Natürlich kann ich jetzt behaupten, ich habe getan, was ich konnte. Aber auf die Worte kommt es an. Ich fürchte, ich habe die falschen gebraucht.«
    »Ich habe sie auf dem Foto gesehen«, sagte ich leise. »Auf deinem Schreibtisch. Sie ist jünger und begehrenswerter als ich.«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte er ruhig. »Ich weiß nur eines: Bevor ich dich traf, ahnte ich nicht, daß Liebe so sein kann. Dies mußte ich ihr sagen, obwohl ich mir wie ein Dreckskerl vorkam und obwohl ich kaum glaube, daß sie mich verstanden hat.«
    »Was hat Mitsue dazu gesagt?«
    »Sie redete nicht. Nur ich. Sie ist wie ein Kind, das fassungslos vor einem zerbrochenen Spielzeug steht. Ich kann ihr nichts vorwerfen. Ihr Leben war bisher sorgenfrei. Aber auch sie wird eines Tages erfahren, daß man im Schmerz wie in der Liebe seine eigene Wahrheit erkennt. Und daß man sich dabei nicht jedesmal das Herz aus dem Leibe reißt.«
    Endlich wagte ich ihn anzusehen, sein Gesicht zu streicheln.
    »Und jetzt?«
    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Jetzt kannst du mit mir machen, was du willst.«
    Aus meiner Brust wogte es herauf: Scham und Traurigkeit. Ich schluckte und sagte:
    »Ken, ich kann heute nicht mit dir schlafen.«
    »Und warum nicht?«
    »Ich bin müde«, flüsterte ich rauh. »Und außerdem habe ich meine Periode.«
    »So«, meinte er ausdruckslos.
    Seine Augen ließen von mir nicht ab; er hatte wieder diesen traumbefangenen Blick, als ob sein Wesen weit weg von mir wäre und mich gleichsam so nahe umkreiste, daß er meine Herzschläge fühlte, mein Schweigen, meine Scham, meine tief verwurzelte Angst. Er blickte mich an mit Augen, die mich wirklich sahen. Für ihn war mein Körper ebenso durchsichtig wie mein Geist. Er wußte, daß die Wunde in mir wieder offen war und brannte, daß sich meine verwirrten Gedanken nur schwerfällig bewegten. Vielleicht hatte er Erbarmen mit mir. Vielleicht lächelte er auch darüber.
    Er

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