Silbermuschel
erfüllt sich auf der Ebene des Körpers wie auf der Ebene des Geistes. Eine schöpferische Resonanz, nicht hinfällig und vergänglich. Diese schöpferische Dualität, für den Mann auf ewig unerreichbar, erfüllt ihn mit Neid und Zerstörungswut. Seine ganze sadistische Erniedrigung der Frauen ist nichts als ein angsterfüllter Beschwörungsakt. Und so groß und unerträglich ist die Angst mancher Männer, daß sie die Mädchen schon im Kindesalter verstümmeln, um ganz sicher zu sein, daß sie die Stärkeren sind.«
Mit einer derart heftigen Bewegung, daß ich zusammenfuhr, hob er den Arm, schlug die Schale gegen die Tischkante: Das Steingut zersprang in Scherben, außen rot wie Blutstropfen, innen weiß wie Schnee. Ich verspürte einen fast körperlichen Schmerz, so als ob der Hieb mein eigenes Fleisch getroffen hätte. Im selben Atemzug warf Ken sich auf mich, umfaßte mein Gesicht mit beiden Händen. Die Stille war laut mit meinem Atem, mit seinem Herzschlag erfüllt. Aufgewühlt sprach er gegen meinen Mund.
»Verstehst du? So wurdest auch du zerbrochen und zerstört. Ich will dich wieder ganz machen. So, wie du vorher warst. Und ich traue mir zu, daß ich es fertigbringe. So, jetzt habe ich dir alles gesagt und außerdem noch – verdammt –
Isamis Schale zerschlagen. Gomennasai, O-Neesan! Das war mal wieder einer meiner Temperamentsausbrüche. Offenbar bin ich auch nicht mehr ganz nüchtern.
Weine nicht, Liebes! All das, was man dir angetan hat, soll gerächt werden. Deine Kindheit war ein böser Traum, aber aus schlechten Träumen können gute Träume werden. Dein Körper, den du als unrein empfindest, ist für mich Spiegelbild des 462
Geistes, Hort des Friedens und kostbares Gefäß. Sag, daß du keine Angst mehr hast. Ich will es von dir hören. Jetzt! «
»Ich habe keine Angst mehr.«
»Nie mehr?«
»Niemals, solange du da bist!«
»Dann habe ich die Schale nicht umsonst zertrümmert.«
Er lachte jetzt vor sich hin, küßte mir die Tränen von den nassen Augen.
Langsam, schwebend, versank ich in mir selbst, fand ihn überall dort, wo ich ihn streichelte, zitternd, suchend. Ich zerrte sein T-Shirt aus seinem Gürtel, streifte es über seinen Kopf, griff dann nach seiner Handfläche, legte sie auf meinen Mund, streichelte sie mit der Zunge, kroch unter seinen Körper, rollte mich zusammen.
Ich ließ mir Zeit, seinen Körper zu erforschen, mein Gesicht in seine Achselhöhle zu drücken. Seine Haut, glatt wie Seide, duftete nach frischer Baumwolle, nach Salz und leicht nach Sake. Er gehörte zu ihm, dieser Duft, zu seinem Hals mit der pochenden Schlagader, zu seiner Brust, auf die ich mein Gesicht bettete, um jeden Herzschlag von ihm wahrzunehmen. Meine Lippen wanderten seinen Körper entlang, immer tiefer, doch er zog mich wieder hoch, sprach ganz leise.
»Geh, Liebes, nimm deinen Monatsschutz heraus. Vergiß alles, was früher war.
Mach! «
Ich schüttelte den Kopf; flüsterte, nein, ich kann nicht, ich will nicht. Ich stöhnte und flehte. Aber da küßte er mich schon, Schwindel überfiel mich. Er warf sein Haar zurück, preßte mich an sich, drang mit seiner Zunge in meinen Mund, trank seinen eigenen Geschmack von meinen Lippen.
»Tu, was ich dir sage«, drängte er.
Ich stand taumelnd auf und tat, was er wollte. Als ich zurückkam, kniete er auf der Matte, völlig nackt. In T-Shirt und Büstenhalter ließ auch ich mich vor ihm auf die Knie nieder. Langsam zog ich das T-Shirt über den Kopf, schüttelte leicht mein Haar. Meine Hände glitten hinter meinen Rücken, lösten den Büstenhalter. Eine warme Welle erfaßte mich, von Knien und Hüften an aufwärts; sie kam aus mir selbst, aus meinem ureigenen Leben, aus dem tiefen Fieber meines Blutes. Wirres Rauschen erfüllte meine Ohren; die Wellen streichelten mich, wie die Fluten des Meeres die nächtlichen Dünen liebkosen.
Ohne die Augen von mir abzuwenden, ergriff Ken die Flasche und goß den letzten Rest Sake in die Schale, die noch übrig war. Dann nahm er einen Mundvoll Reiswein, zog mich mit beiden Armen zu sich, bis er meinen nackten Körper ganz an sich pressen konnte und unsere Lippen sich berührten. Und während er die Lippen auf die meinen drückte und der warme Reiswein in meinen Mund lief, hob er mich auf seine Schenkel, drang sanft und mühelos in mich ein. Gemeinsam fühlten wir die steigende Lust, ließen sie kommen und pulsieren wie die Wellen, während die Erde im Raum sich um sich selbst drehte. Von der Kraft des
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