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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schnalzte mit der Zunge, wie er es manchmal tat, wenn ihm ein Einfall kam, erhob sich und ging in die Küche. Ich rührte mich nicht, hörte nur, wie er eine Schranktür aufstieß. Zwei oder drei Minuten später kam er wieder. Er hielt ein Lacktablett in der Hand, auf dem ein Sakefläschchen und zwei Schalen standen. Er 458
    stellte das Tablett auf den niedrigen Tisch, prüfte mit den Handflächen kurz die Temperatur des Weines. Die Keramikschalen waren pflaumenrot, mit einem Hauch von Gold, als matter Schimmer in der Glasur eingefangen.
    »Ach, Ken, die sind ja wunderschön!«
    »Findest du sie hübsch? Die sind noch von früher. Was nützen dir die Sachen, Kenchan, hatte Isami zu mir gesagt, wenn du sie jahrelang nicht brauchst? Aber wir holten sie nur hervor, wenn gefeiert wurde. Und seit zwanzig Jahren hatte ich kaum Gelegenheit dazu.«
    »Was gibt es denn hier zu feiern?« fragte ich bitter.
    Er blinzelte mir zu.
    »Deine Ankunft auf Sado, zum Beispiel.«
    Ich lächelte, aber nur mit halbem Herzen. Er füllte beide Schalen und reichte mir eine. Dann setzte er sich auf die Matte, lehnte sich an meine Knie und hob den Arm, wobei er den Kopf nach mir umwandte.
    »Kampai!«
    Wir stießen an. Die Schalen klingelten wie Glöckchen. Ich nippte an dem lauwarmen Wein. Der Sake schmeckte erregend süß, fast lebendig; in mir breitete sich Wärme aus, eine schwebende Welle, langsam kreisend.
    »Jetzt ist mir besser«, murmelte ich.
    »Gut.« Er drückte den Kopf an meine Knie. »Vielleicht können wir ein bißchen miteinander reden.«
    Worüber willst du reden, Ken? Ich will lieber schweigen. Ich habe Angst. Und wenn ich Angst habe, geht das Böse um, und der Teufel schlägt zu. Ich blute, und ich bin unfruchtbar. Die Vergangenheit in mir ist älter, als ich es bin. Die Scham, der Schmerz, diese Angst vor Schmutz und vor Abscheulichkeiten erscheinen in der Erinnerung dauerhaft. Sie vererben sich von einer Generation zur anderen, von Mutter zu Tochter. Ich schleppe sie mit mir in diese neu entdeckte Welt. Ich bin gezeichnet. Jeden Monat habe ich Leibschmerzen, daß ich kaum stehen kann. Und Kopfschmerzen und Brechreiz. Wenn ich nur schlafen könnte! Aber du läßt es nicht zu. Du umfaßt meine Knie, du blickst mir in die Augen. Du sprichst.
    »Schlaf nicht ein, Liebes. Komm, trink! Und du brauchst mir auch nichts zu erklären. Du hast mir ausreichend erzählt, was man dir angetan hat, damals, als du deine ersten Gezeiten hattest.«
    Ich errötete und blinzelte ihn verwirrt an.
    »Was meinst du damit, Ken?«
    Er ließ die weißen Zähne blitzen.
    »So sagt man bei uns, wenn ein Mädchen ihre erste Regelblutung hat. Das ist eine Anspielung auf unser mütterliches Meer. Die Flut schwillt zum Mond heran, der Erdenstern hält die Wasserhülle fest, das Leben wird aus dem Schaum geboren.
    Und so wie die Wellen unter den Sternbildern atmen, spürt auch jede Frau die Gezeiten in ihrem Blut.«
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    Eine Spur von Erschrecken zuckte um meinen Mund. Im Licht der Kindheit hatte ich mich zu einem Traum aufgeschwungen. Bevor ich mich zum Sonnenlicht erhob, wurden meine Flügel gebrochen. Mit zwölf mußte ich die Kindheit verlassen, meine Seele verhüllen. Ich wurde unrein.
    »Hör auf, Ken! Ich mag nicht darüber reden.«
    »Deine Schale ist leer«, erwiderte er und füllte sie wieder. Ich trank zu schnell.
    Ein Hustenanfall schüttelte mich. In meinen Schläfen pochte das Blut, ein Schall, der gegen meine Ohren hallte. Ich tauchte empor aus der Finsternis der Angst, tief unter der Lebensbrandung.
    »Ich fühle mich ein bißchen schwindlig.«
    Er lächelte und sprach weiter.
    »Wenn ein japanisches Mädchen ihre erste Regelblutung hat, wird sie von ihrer Familie beglückwünscht und beschenkt. Ihr zu Ehren wird O-Sekihan, ein besonderes Reisgericht, gekocht. Dieser ›Glückwunschreis‹, mit Bohnensaft rot gefärbt, kommt nur bei Festtagen auf den Tisch.«
    Ich strich mit der Hand über meine heiße Stirn. Je mehr er sprach, um so mehr fühlte ich mich schweben; mein Geist befreite sich aus dem Schlamm; das Meer wirbelte mich zum Licht empor. Eine Wiedergeburt aus dem Wasser. Eine Läuterung.
    »Sprich weiter!« flüsterte ich. »Was noch?«
    »Die Menstruation ist ein heiliges Zeichen, keine Verdammung. Die Frau ist wie das Meer, weich und stark. Aber die Männer fürchten das Meer, ebenso wie sie die Frauen fürchten.«
    Ich schloß die Augen. Ich sah nur noch das Rot im Inneren meiner Lider, die Kreise, die sich darin auflösten wie

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