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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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drehte sein erhitztes Gesicht in Windrichtung und ließ seine Haare nach rückwärts flattern, während er den Arm um meine Schultern legte. Seine warme Haut duftete nach Salzwasser; ich legte das Gesicht an seinen Arm, um diesen Geruch einzuatmen.
    »Ich werde nie so weit laufen können wie du.«
    »Doch. Schon bald.«
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    Wir sahen uns an; er umfaßte mich mit beiden Armen. Unsere trockenen Lippen berührten sich. Ich fuhr mit der Zunge über seinen Mund. Ein leichter Salzgeschmack lag darauf.
    »Du schmeckst nach Seetang«, flüsterte ich.
    Sanft und aufreizend rieb er seine Hüften an den meinen; ich antwortete mit leichtem Druck. Wir standen eng umschlungen, den Blick auf das Meer gerichtet.
    Die muschelsuchende Frau hatte inzwischen kehrtgemacht, stapfte am Wellenrand entlang mit schwerfälligen Trippelschritten auf uns zu. Ken, der ihr bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, erblickte sie plötzlich und rief aus:
    »Aber das ist ja Kimiko! Du weißt doch, die Frau, von der ich dir erzählt habe.
    Hat sie schon mit dir gesprochen?«
    »Nein, sie hat mich nur angestarrt.«
    Er grinste.
    »Das wundert mich nicht. Sie sieht schlecht. Komm! Ich möchte, daß sie dich kennenlernt.«
    Er nahm mich bei der Hand; wir gingen auf die alte Frau zu. Sie sah uns kommen und schlurfte uns ein paar Schritte entgegen, doch offenbar nur aus Gefälligkeit, damit wir mit unseren Tuchschuhen nicht durch die Pfützen zu waten brauchten. Sie stellte den Eimer in den Sand, neben ihre breiten Füße. Im Verhältnis zu ihrer stämmigen Gestalt schien ihr Kopf zu groß. Unter ihrem Tuch war das flachsweiße Haar zu einem strähnigen Knoten gesteckt. Ihr Gesicht mußte in ihrer Jugend schön gewesen sein. Jetzt war es braun wie altes Holz, ebenmäßig und ohne eine schwache Linie, kaum, daß einige Runzeln die Haut wie eine Maserung durchzogen. Die Augen standen weit auseinander, die Nase war wohlgeformt, die Lippen dunkel und salzverkrustet.
    Ken verbeugte sich vor ihr; ich war noch nicht lange in Japan, hatte jedoch längst bemerkt, daß sich verbeugen nicht einfach bedeutet, nur den Körper zu beugen. Die Japaner verbeugten sich nicht auf dieselbe Weise den Eltern, den Geschwistern, den Vorgesetzten oder den Freunden gegenüber. Da ich alles sehr genau beobachtete, hatte ich schnell gelernt, die verborgenen Unterschiede in der Bewegung wahrzunehmen; Kens Verbeugung war durch seine vollendete Natürlichkeit und Eleganz alles andere als steif; und doch sprachen Höflichkeit, Respekt und innige Vertrautheit aus ihr. Und in gleicher Weise zeigten sich in Kimikos Verbeugung Zuneigung und wohlwollender Spott, bevor sie den Körper aufrichtete, mir seitwärts das Gesicht zuwandte und mich unverfroren ansah.
    Schüchtern verbeugte auch ich mich. Wie immer schreckte ich davor zurück, irgendwelche Gefühle zu zeigen. Und da ich mir keine Blöße geben wollte, fiel mein Gruß verkrampft und unnatürlich aus. Doch Ken lächelte nur, legte mir mit herzlicher Gebärde die Hand auf die Schulter und stellte mich vor, wobei er ungezwungen einige Worte hinzufügte. Kimiko kniff die Augen im Sonnenlicht zusammen, hielt sie unentwegt auf mich gerichtet und gab mit wiederholtem 468
    Nicken einige Grunzlaute von sich. Irgend etwas ging in ihrem Kopf vor.
    Vielleicht versuchte sie mich einzuschätzen. Dann wandte sie sich Ken zu und begann zu sprechen, wobei sie ihre Worte mit ausdrucksstarken Gesten ihrer kleinen, braunen Hände betonte. Nun wurde ich mir der besonderen Art bewußt, in der sie sprach. Ihre Stimme löste sich nur mühsam aus den Tiefen ihrer Bronchien und erweckte den Eindruck, daß sie an einer Krankheit der Atemwege litt. Aber dieser heisere Flüsterton schien tatsächlich ihre angeborene Stimme zu sein. Kein Widerhall war darin; es schien, als weigere sich die alte Frau, ihre Stimme für den üblichen, beschränkten und oberflächlichen Austausch unter Menschen zu vergeuden. Ken hörte zu, den Kopf leicht vornüber geneigt und mit zuckenden Mundwinkeln. Auf einmal lachte er frei heraus. Ich blickte ihn an, und er dolmetschte, was sie gesagt hatte:
    »Kimikoscnsei meint, es sei allmählich an der Zeit, daß ich den Weg in die
    ›Himmlische Höhle‹ fände.«
    Kimiko grinste mich an. Alles, was ich tun konnte, war, in ihr Lachen einzustimmen. Doch ich war nicht begriffsstutzig: Da war mehr als nur ein zweideutiger Witz. Die vertrauliche Ehrerbietung, die Ken ihr entgegenbrachte, bezeugte dies ebenso wie die Tatsache, daß er mit

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