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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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See.
    Während ich an den Holzgestellen vorbeiging, tauchte aus dem milchigen Licht ein dunkler Fleck auf, der sich auf mich zubewegte. Langsam kam die Erscheinung näher; sie ließ an eine Traumgestalt denken, aus den Dämpfen des Nebels geboren.
    Dann fand das Wesen seinen Weg aus dem sich auflösenden Dunst heraus in die klare Luft, wo es zu einer kleingewachsenen Frau wurde, die schwerfällig durch den Sand stapfte. Sie hielt einen Eimer in der Hand und suchte nach Muscheln. Sie trug eine wattierte Jacke und schwarze Baumwollhosen. Um den Kopf hatte sie das blauweiße Tenugui geschlungen. Sie patschte auf bloßen Füßen absichtlich nahe an mir vorbei, wobei sie mich vorwitzig musterte. Ich lächelte ihr zu, deutete einen Gruß an. Sie zog die Augenbrauen zusammen und nickte. Nachdem sich unsere Wege gekreuzt hatten, merkte ich an dem leichten Kribbeln im Nacken, daß sie mir nachblickte, drehte mich aber nicht um. Doch schon in diesen wenigen Augenblicken hatten die Nebel endgültig der Morgenhelle Raum gegeben. Die letzten Schwaden wirbelten empor, vom Sonnenfeuer durchbrochen, in Spiralen und Dämpfe zerteilt und aufgelöst. Alles um mich herum glänzte, funkelte, strahlte. Der Himmel schimmerte türkisblau, und die schmale Kurve des Uferrandes zog sich ins Grenzenlose dahin, wobei sie zu einem Punkt zusammenfloß. Oberhalb der Küstenlinie bildeten Kalksteine eine Art Gürtel, und zwischen den Felsen stand die Strandbaumwolle in Blüte. Draußen, weit weg, gischtete die Brandung, und ein Frachter zog gemächlich seine Bahn.
    Mit jedem Luftholen meiner Lungen atmete ich die Natur ein, fühlte ihre Unversehrtheit, ihren Frieden. Nie wollte ich diese Insel mehr verlassen; ich wollte 466
    hierbleiben, bis an mein Lebensende, jeden Morgen und auch mehrmals am Tag meine Augen im Meeres- und Himmelslicht erfrischen. Gestern hatte ich Bruno geschrieben. Ein paar Zeilen nur, um ihm mitzuteilen, daß ich meinen Rechtsanwalt in Lausanne, Maître Perrot, gebeten hatte, die Konventionsscheidung für mich vorzubereiten. Bruno hatte ich wissen lassen, daß ich kein Geld von ihm wollte, auch keine Möbel, keine Teppiche und kein Geschirr. Ich stellte keine Bedingung, wollte nur von ihm loskommen. Fertig. Für die Scheidung war es wohl erforderlich, daß ich kurz in die Schweiz zurückkam, aber ich würde mich keinen Tag länger als nötig dort aufhalten. Als ich beide Briefe abgeschickt hatte, fühlte ich mich ungeheuer erleichtert und frei. Vielleicht hatte ich, bevor mein Leben richtig begann, zu viele Jahre verloren, aber Ken war nun da, der mich für alles entschädigte. Und es erschien mir seltsam und wunderbar, daß der Mensch, der die Stimmungen meiner Seele am besten kannte und vorauszusehen wußte, ein Mann eines anderen Kontinents, aus einer anderen Welt war.
    In den ersten Tagen wirkte das starke Inselklima entkräftigend. Diese plötzlich blendende Sonne, das schaukelnde Funkeln des Ozeans ließen mich taumeln, meine Stirn war feucht vor Schweiß, und ich lehnte mich ausruhend gegen einen Stapel der verwitterten Holzgestelle. Eine Zeitlang beobachtete ich die Frau, die in den niedrigen Wellen watete und dann und wann anhielt, um eine Muschel in ihren Eimer zu werfen. Sie bückte sich auf eigentümliche Art, wobei sie die Beine ganz steif hielt und den Oberkörper tief vornüber beugte. Nach einer Weile wandte ich den Kopf in die entgegengesetzte Richtung; das Herz klopfte mir in der Brust, als ich zwischen Strand und Himmel Kens Gestalt erblickte, die sich bald aus den Luftspiegelungen löste und deutlicher in Sicht kam. Sein regelmäßiger Laufschritt hatte etwas Schwereloses, Beflügeltes an sich. Er trug seinen weißen Jogginganzug, und sein dunkles Haar wehte hinter ihm. Als er in Rufweite war, richtete ich mich auf; er sah mich, verlangsamte seinen Schritt. Sein Zwerchfell arbeitete kaum rascher als gewöhnlich, doch er hielt nicht sofort an, sondern lief noch eine kurze Strecke weiter und beugte sich dann herunter, um seine Muskeln zu lockern, bis sein Atem sich beruhigte. Ich kam ihm entgegen; er lächelte sein Jungenlächeln, öffnete den Reißverschluß seiner Jacke, ließ sie hinabgleiten und knotete sie um seine Taille fest. Darunter trug er sein ärmelloses T-Shirt. Ich reichte ihm das kleine Handtuch, das ich bei mir hatte, und er rieb sich den Schweiß von Gesicht und Schultern. Seine Wangen waren eine Spur dunkler geworden. Aus Osten blies starker Wind, doch Ken schien diese Kühle zu genießen. Er

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