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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mondes gehoben, schwollen die Fluten über zerbrochene Scherben heran und schlugen über 463
    uns zusammen.
    464

32. KAPITEL
    I ch wanderte über den Strand, meine Füße versanken im feuchten Sand. Die Dünen waren blendend weiß, aber dicht an den Wellen hatte der Sand eine graue Farbe; angeschwemmter Tang und Muschelsplitter bildeten halbkreisförmige Muster. Jetzt, in der Frühe, zogen Nebelschwaden wie Rauch über die Bucht. Sie veränderten ihre Form von Augenblick zu Augenblick wie Wasser, in traumhafter Langsamkeit lautlos schwappend, ein Meer über dem Meer, eine Wellenspiegelung. Das Geräusch der Brandung, weit draußen, klang regelmäßig wie tiefe Atemzüge.
    Seitdem wir auf der Insel waren, hatte Ken sein morgendliches Training wieder aufgenommen. Er ging mit einigen Leuten seiner Gruppe, aber meistens allein. Er wollte, daß ich mit ihm lief, hatte mir jedoch erklärt, daß ich mich an längere Strecken erst gewöhnen müsse. Er hatte mir beigebracht, nach kurzer Laufzeit eine Pause einzulegen, um die »zweite Luft« wirken zu lassen, bevor ich mit halb so viel Anstrengung eine größere Strecke zurücklegen konnte. Doch für mich war das noch zu früh. Ken mahnte mich, nichts zu überstürzen. Sobald ich seinen Rhythmus nicht mehr einhalten konnte, blieb ich stehen; dann winkte er mir kurz zu und lief weiter, nicht im geringsten auf Schnelligkeit bedacht, aber unermüdlich.
    Auch jetzt war er irgendwo in der Ferne verschwunden, während ich langsam und glücklich in die gleiche Richtung wanderte, meine Füße in die Spuren setzte, die seine Füße im Sand hinterlassen hatten.
    Ich wollte nur bei ihm sein; nichts war mir wichtiger als er. Stets war ich in seiner Nähe, ganz Zärtlichkeit und Stille, doch niemals Passivität, das hätte er nicht geduldet. Meine Selbstbehauptung war anders, war geistiger Art. Er versuchte niemals, mich anders zu machen, als ich sein wollte, lenkte geduldig und einfühlsam diese langsame Wiederauferstehung. Er schloß mich in die Arme, streichelte mich wie ein Kind. Doch ich war kein Kind, das wußten wir beide. Ich folgte ihm mühelos auf den Wegen seiner Gedanken; jene komplexen Dinge, von denen er gleichmütig und vergnügt sprach, waren auch mir vertraut; ich erkannte ihre wesentliche Substanz. Er vermochte sie in Worte zu fassen; für mich jedoch waren es nur Gefühle. Mein Herz war das stille Echo seiner Stimme, ich war die Gefährtin an seiner Seite, die Geliebte, die er in seinen Armen hielt. Und da war noch etwas anderes: Mein Leben lang hatte ich nie den Körper eines Mannes als schön oder vertraut empfinden können. Stets hatte ich den männlichen Körper mit einem diffusen Gefühl der Furcht, der Dunkelheit, des Schmerzes in Verbindung gebracht. Das war auch bei Paul kaum anders gewesen. Ken aber war in seiner gelassenen Art, sich zu bewegen, zu strecken, von absoluter Natürlichkeit. Ein bestürzender Gegensatz zwischen harten Muskeln und mädchenhaft schmalen Gelenken, zwischen federnder Stärke und elastischer Sanftheit. Ein Körper, der niemals von Unterwerfung und Gewalt sprach, sondern von Hingabe, Unschuld 465
    und Lebensfreude. Manchmal, wenn wir uns nach der Erfüllung voneinander lösten und uns in der Erwartung neuen Begehrens in den Armen hielten, lachten wir über uns selbst und staunten über die Freude und Unbeschwertheit der Liebe. Doch immer blieb, geheimnisvoll über uns schwebend, dieses Wissen, daß wir gesegnet waren.
    Morgens früh am Strand war es kalt. Ich trug einen Pullover von Ken; die weiße, handgestrickte Wolle hüllte mich ein wie eine Umarmung. Ich verschränkte beide Arme vor der Brust, um das warme Streicheln bei jedem Atemzug noch eindringlicher zu spüren. Der Nebel schwebte dicht über den Strand dahin. Eine Weile war ein Dünenzug sichtbar; von einem Augenblick zum anderen aber ragten nur noch einige Kiefern schemenhaft durch den Dunst in den Himmel. Dann waren auch sie verschwunden. Vor mir, auf dem Sand, lagen ein paar schwere Holzgestelle, die ihrer Form wegen Soroban – Rechenbretter – genannt wurden.
    Sie dienten dazu, die Fischerboote an Land zu ziehen. Die Boote wurden, mit dem Heck voran, mit Hilfe einer Winde aus dem Wasser geholt; dabei wurden die Holzgestelle unter die Kiele geschoben, so daß die Boote glatt und leicht darübergleiten konnten. Ken hatte mir erklärt, daß die Fischer es schon seit vielen Jahren so machten. Jetzt lagen nur einige dieser Boote am Strand; die meisten waren draußen auf

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