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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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dem Titel Sensei – Meisterin –
    eine Frau anredete, die man sich bestenfalls in Gummistiefeln auf einem Reisfeld vorstellen konnte.
    Kimikos nächste Frage galt mir: Ob ich japanisch spreche. Kens lächelnder Blick gab mir Mut. Ich sagte:
    »Sukoshi – ein wenig. Gommenasai!« fügte ich höflich hinzu.
    Die Frau wandte ihr Gesicht dem Schatten zu, damit sie mich besser sehen konnte. Ihre Lider weiteten sich wie die einer Katze. Sie hatte eigentümliche Augen: bleischwarz und doch von einer Klarheit, die sie fast durchsichtig schimmern ließ. Die Pupillen waren mit einer Aureole umgeben, wie es bei alten Menschen manchmal vorkommt. Ihre nächste Frage stellte sie ebenso zungenfertig, als habe sie eine Japanerin vor sich, wobei sie die Silben im eigenartigen Tonfall der Inselbewohner dehnte. Sie wollte wissen, wo wir uns getroffen hätten. Nur schwerfällig gelang es mir, meinen Geist in Bewegung zu setzen, mich an Worte zu erinnern, die ich kürzlich hinzugelernt hatte. Der Blick der alten Frau verwirrte mich: Er drang allzu tief in mich ein. »Tokio de shiriatta bakari desu – In Tokio.
    Vor kurzem.«
    Meine Antwort kam mir spröde und unhöflich vor; ich wollte noch etwas hinzufügen, wußte aber nicht, was. Doch plötzlich hielt ich im Sprechen inne.
    Kimiko hatte die Lippen geöffnet und lächelte. Ihre kräftigen Zähne standen leicht vor, so daß sie die Unterlippe berührten. Sie richtete ihre Augen kurz auf Ken und richtete einige Worte an ihn. Dieser nickte langsam; beide sahen lächelnd zu mir herüber.
    »Kimikosensei sagt, du weißt doch, daß wir uns schon viel länger kennen.
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    Honto, ne? Ist es nicht so?« setzte er zärtlich hinzu.
    Ich merkte, daß ich zitterte, doch weder vor Kälte noch vor Furcht; nein, weil mir plötzlich warm wurde. Kimikos Augen ließen nicht von mir ab. Sie war auf besondere Art aufmerksam geworden. Unvermittelt trat sie näher an mich heran und beugte sich vor, bis ihr Kinn nicht viel mehr als eine Handbreit von meinem Gesicht entfernt war. Ich wich unwillkürlich zurück, entsann mich aber im gleichen Atemzug, daß sie schlecht sah, und schämte mich, daß ich der alten Frau so wenig entgegenkam. Sofort schüttelte sie den Kopf. Ihr Grinsen drückte echtes Vergnügen aus.
    »Juliesan braucht sich nicht schlecht zu fühlen. Ich kann sie auch ohne meine Augen sehen.«
    Ich fuhr auf; meine Kopfhaut kribbelte. Ich wußte, es war sinnlos, Kimiko irgend etwas verbergen zu wollen. Aber wer war diese Frau? Wer war sie bloß? Sie schien meine Beklemmung zu spüren. Mit der rechten Hand strich sie über meinen linken Arm, drückte ihn leicht und sagte mit großer Sanftheit ein paar Worte zu mir. Ich suchte auf Kens Zügen eine Erklärung; er beruhigte mich mit einem Lächeln.
    »Kimikosensei möchte nicht, daß du Angst vor ihr hast. Sie sagt, es sei nur ein Scherz.«
    Ich schluckte und brachte mühsam eine Antwort über die Lippen.
    »Es tut mir leid. Ich verstehe vieles falsch. Mir fehlen die richtigen Worte.«
    Kimiko schüttelte den Kopf. Ich sah, wie ihre Finger ungeduldig schnappten.
    »Worte? Wozu Worte?« Sie deutete lebhaft auf Ken. »Auch er redete zuviel –
    früher. Wollte alles ganz genau wissen. Verdrehte alles. Ich mußte ihn schlagen.«
    »Schlagen?« stammelte ich betroffen.
    Sie nickte gewichtig.
    »Mit einem Stock.«
    In ihren Katzenaugen tanzte ein heller Funke. Gleichzeitig merkte ich, wie Ken seine Heiterkeit nur mühsam unterdrückte.
    »Ist das wahr?« fragte ich ihn. »Hat sie dich wirklich geschlagen?«
    Er prustete wie ein Schuljunge.
    »Ich nehme an, daß ich es nötig hatte.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Er blinzelte der alten Frau zu.
    »Kimikosensei ist eine gute Lehrerin, ne?«
    Beide lachten jetzt wieder: Und in ihrem Lachen lag die Vertrautheit von Menschen, die einen weiten Weg miteinander gegangen waren und sich diese Vertrautheit in geheimnisvoller Sprache mitteilten. Dabei war keine Anmaßung in Kens Gesicht, nur Achtung und Zuneigung. Sein Blick, durch seine ganze innere Kraft gestärkt, blieb verhalten. Sie jedoch betrachtete ihn mit demselben wohlgefälligen und gerührten Ausdruck, der zuweilen an Müttern sichtbar wird, 470
    wenn sie sich vor ihrem erwachsenen Sohn an das Kind erinnern, das er einmal gewesen war. Einige Sekunden genügten, um diesen Austausch von Ehrerbietung und Zuneigung zu vollziehen. Kens Lächeln und das der alten Frau erloschen im gleichen Atemzug. Ich sah, wie Kimikos Stirn sich furchte. Sie stand so dicht

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