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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Autoschlangen krochen über die Autobahnen. Im Hafen schaukelten die Fischkutter schwappend auf und ab, die Ankerketten klirrten. Schon herrschte in den riesigen Hallen des Tsukiji-Marktes emsiger Hochbetrieb. Sonnengebräunte Fischer, derb und fröhlich, mit dem
    »Hachimaki«, dem blauweißen Schweißtuch um das kurzgeschorene Haar, stapften in Gummistiefeln und glänzendem Ölzeug zwischen den Ständen hin und her. Es roch nach Seetang, Fisch, Salz und Teer. Abfälle häuften sich am Boden, Motorräder knatterten, Lastwagen stießen Abgase in die Luft. Die Sonne wanderte höher. In den kleinen buddhistischen Klöstern, die sich in ihren Ausmaßen dem engen Straßennetz angepaßt hatten, bimmelten helle, scharfe Glöckchen. Die Mönche waren schon lange wach. Das Klappern zweier gegeneinanderschlagender Holzbrettchen hatte sie schon vor dem Morgengrauen zur Meditation gerufen.
    Draußen, hinter den Mauern aus zerschlagenen Steinblöcken, zischten in den Cafes die Kaffeemaschinen. Die Angestellten kleiner, volkstümlicher Imbißstuben übergossen den Bürgersteig mit fließendem Wasser, schleppten Tische und Stühle nach draußen. Es roch nach Nässe, Sojasoße und gebratenem Fisch. Die blauweißen Vorhänge, auf denen in schwungvollen Schriftzeichen die Namen des Restaurants gedruckt waren, blähten sich im Wind.
    Tokio erwachte, und die riesigen Bahnhofshallen, die unterirdischen Gänge, mit hellen Fliesen überzogen, vervielfältigten das Echo tausendfacher Schritte. Der 52
    Strom der Angestellten quoll aus den Vorstadtzügen, drängte sich durch die Sperren, fuhr auf Rolltreppen empor und hinunter. Schwärme von Schülern überquerten die Fußgängerstreifen, die Mädchen in marineblauen Faltenröcken und Jacken mit Matrosenkragen, die Jungen in Uniformen mit Goldknöpfen.
    Tokio erwachte; unter dem engen Netz von Elektrizitäts- und Telefonleitungen erfaßte das Sonnenlicht die alten, zerbrechlich wirkenden Holzhäuser, glänzte auf den grün- oder türkisfarbenen Dachziegeln. Hausfrauen schoben die Fenstertüren auf, hingen die baumwollgefüllten Schlafmatratzen an die frische Luft. In schwindelerregenden Höhen funkelten im Morgenlicht die Giganten aus Glas und Stahl, schwungvoll sich erhebend wie Riesenwogen.
    Tokio erwachte und mit ihm auch Japans verwunschenes Herz, der Kaiserpalast. Die Steinquadern der Ringmauer spiegelten sich in den Gewässern des Wallgrabens. Schwäne ruhten in ihren Schwingen, und manchmal glitt der goldene Schatten eines Karpfens unter der Wasseroberfläche dahin. Mauer und Graben bewachten ein Symbol, einen Traum, einen geheimnisvollen Bereich, wo Mythos und Geschichte verschmolzen.
    Tokio erwachte, und in verdunkelten Zimmern schliefen die vielen tausend
    »Schmetterlinge der Nacht«, die ihre Gäste in den Bars von Shinjuku und Roppongi unterhalten hatten. Vor den Pachinko-Spielsalons blühten rosa und hellblaue Riesenblumen aus Plastik; das ohrenbetäubende Rasseln und Klingeln der fallenden Kugeln in den Automaten, mit Musik aus den Lautsprechern vermischt, schallte bereits bis auf die Straße. Es erwachte auch der Sensoji-Tempel in Asakusa, der buddhistischen Göttin der Barmherzigkeit, Kannon, gewidmet. Mit ihm erwachten die tausend kleinen Läden, Kneipen und Sake-Bars der Nakamisestraße. Über dem wuchtig geschwungenen Tempeldach schwirrten Tauben im kristallklaren Licht, und aus einem gußeisernen Becken stieg Weihrauchnebel empor.
    Tokio erwachte, und auf der Ginza, der größten Einkaufsstraße des Fernen Ostens, staute sich der Verkehr. Der Morgenwind strich über die Gärten, die Parkanlagen, die Friedhöfe. In Tokio begannen jetzt dreizehn Millionen Einwohner dreizehn Millionen täglicher Dinge. Die Stadt atmete den neuen Morgen ein, und es atmeten seine vollklimatisierten Büros, seine unzähligen Schreine, Tempel, Bars, Spielhöllen, Massagesalons, Bordelle, Kinos, Theater, Badehäuser, Banken, Universitäten, Fabrikanlagen und Teehäuser. Die Sonne, in Tausenden von Fensterscheiben funkelnd, spiegelte sich auf der Westfassade des Hotels Plaza, wo ich im elften Stockwerk, im Zimmer 423, jetzt die Augen aufschlug.
    Es war acht Uhr morgens, japanische Zeit. Ich war um die halbe Erdkugel gereist. Der anbrechende Morgen, die ganze Stadt gehörten heute nur mir.
    Am Vortag waren wir angekommen; es war vier Uhr nachmittags, die Sonne schien durch Wolkenschleier. Die Luft war wärmer als in Europa, schon frühsommerlich. Am Flughafen gab es keine umständlichen

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