Silbermuschel
zurück und leerte den Aschenbecher.
Ich wusch ihn unter fließendem Wasser ab, als Brunos Wagen aus der Garage fuhr.
Hastig räumte ich den Frühstückstisch ab. Dann bürstete ich mein Haar und zog mich schnell an. Ich warf meine Handtasche über die Schulter und verließ fast fluchtartig das Haus, nachdem ich sämtliche Fenster weit geöffnet hatte.
Am Abend vor der Abreise stopfte ich Wäsche, einige T-Shirts und zwei Blusen in eine große Wachstuchtasche, die sich bequem über der Schulter tragen ließ. Ich nahm einen Blazer, zwei leichte Wollhosen und ein Wildleder-Ensemble 48
mit, das nicht knitterte und durch passendes Zubehör elegant aussah. Als ich alles eingepackt hatte, trat ich ans Fenster, blickte auf die schwarze Fläche des Sees. Die Lichter der französischen Küste glitzerten in der Ferne. Hinter mir brannte eine Lampe, und die Umrisse meines Spiegelbildes waren in der dunklen Scheibe sichtbar. Und plötzlich war mir, als ob sich dieser Umriß trübte; ich meinte einen Schatten zu sehen, als stünde hinter mir – herausgelöst aus mir selbst – eine zweite Gestalt. Ich empfand nicht die geringste Angst, aber mein Rückgrat prickelte und ein Ziehen ging durch meine Haare, als würden sie auf die falsche Seite gekämmt.
Der Eindruck, daß ich mich nicht allein im Zimmer befand, war so stark, so verwirrend, daß ich mich unwillkürlich umsah. Nichts. Und als sich meine Augen wieder zur Scheibe drehten, war auch der Schatten verschwunden.
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4. KAPITEL
D ie Lufthansa-Maschine mit Zwischenlandung in Frankfurt startete vom Genfer Flughafen um viertel nach elf. Franca und ich waren mit dem Zug gekommen und hatten vom unterirdischen Bahnhof aus die Abflughalle schnell erreicht. Franca hatte einen Jogging-Anzug an. Ihr ungeschminktes Gesicht war mit Nachtcreme eingerieben und sie trug eine große Sonnenbrille. »Ich habe Angst vorm Fliegen«, gestand sie. »Ich steige nie in ein Flugzeug, wenn ich nicht beschwipst bin.«
Wir gaben unser Gepäck auf und gingen an die Bar, wo Franca sich einen Brandy bestellte und ich an einem Espresso nippte. Das Gedränge, die Eile überall, die Stimmen aus dem Lautsprecher, die künstliche Luft hatten etwas Erregendes an sich. Es roch nach Kaffee, Parfüm und Tabak. Auch Franca hielt eine Zigarette in der Hand, aber sie rauchte zum Glück nicht die gleiche Marke wie Bruno. Die Sonne schien heiß durch die Scheiben. Die Leute standen oder saßen, redeten in allen möglichen Sprachen. Ich schwieg, war schon weit weg, bevor ich eigentlich abreiste, schwebte in einem unwirklichen Zustand, zwischen Gespanntheit und Empfindungslosigkeit.
Die Boeing startete pünktlich. Langsam rollte die schwere Maschine über das Flugfeld, machte dann schwerfällig eine Wendung. Ich lehnte mich zurück, schloß die Augen. Ein dumpfer Stoß: Die Boeing hob sich mit gewaltigem Ruck vom Boden ab. Wasserfälle brausten in meinen Ohren, mein Magen kribbelte. Das Flugzeug stieg höher, schoß durch schimmernde Nebelfelder. Zwischen treibenden Wolkenfetzen leuchtete das grüne Gewoge der Hügel und die schachbrettähnlichen Muster der Felder. Dann kam Genf, wie an eine Schrägwand geklebt, in Sicht, mit seinem Netz heller Straßen und der glitzernden Säule seines Springbrunnens. Wir flogen über die dunstige Fläche des Sees, als die Leuchtschrift »No smoking«
erlosch. Die Maschine ließ die letzten Nebelstreifen hinter sich und schwebte im türkisblauen Himmel dahin. Ich schluckte; es krachte und zischte in meinem Trommelfell, dann wurde mein Gehör wieder frei. Das Dröhnen der Düsen ging in ein gleichmäßiges, beruhigendes Summen über. Franca löste aufatmend ihren Gurt.
Mir fiel auf, daß ihre Hände leicht zitterten.
»Ist dir jetzt besser?« fragte ich.
Sie verzog das Gesicht.
»Ich bin noch nicht beschwipst genug.«
Ich blickte aus dem Fenster. Die Alpenkette kam in Sicht, braun und grau, noch mit Schnee gesprenkelt. Ich fühlte einen Druck auf dem Magen, gleichzeitig aber auch eine unbekümmerte Leichtigkeit, als ob sich sämtliche Fäden, die mich mit dem verbanden, was einmal gewesen war, plötzlich gelöst hatten.
Zwischenlandung in Frankfurt. Neue Passagiere stiegen hinzu; beim Start war die Maschine fast bis zum letzten Platz besetzt. Bald wurde das Essen serviert: warme 50
Geflügelleber mit Salat, Rinderfilet, Gemüseauflauf und überbackene Kartoffeln, dazu Rotwein. Die Himbeer-Zabaione war üppig und fast zu süß, der Kaffee ausgezeichnet. Wir flogen der
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