Silbermuschel
Kleider waren zerknittert. Ich ging schnell unter die Dusche, wechselte die Wäsche und zog eine frische Bluse an. Ich fand, daß ich blaß aussah, und legte etwas Lippenstift auf. Bald kam Franca: Sie hatte sich ebenfalls umgezogen, trug Schwarz und hatte die Müdigkeit mit hellem Puder weggezaubert.
»Charles ist schon unterwegs. Er bringt uns Eintrittskarten für die Messe.
Gleichzeitig können wir das Programm für morgen besprechen.«
Die Bar befand sich im Untergeschoß. Kleine rubinrote Lämpchen glühten. Es war noch früh; eine Bardame in einem lachsrosa, mit Goldfäden durchwebten Kimono stand hinter der Theke und plauderte vergnügt mit zwei dunkelgekleideten Japanern, dem Aussehen nach Geschäftsleute. Ein Tonband spielte Songs aus amerikanischen Musicals, und ich fühlte mich völlig benebelt.
Wir ließen uns in einer Nische nieder. Die Bardame kam um die Theke herum und verneigte sich, wunderschön in ihrem schillernden Kimono. Ein Kamm aus Schildpatt steckte in ihrem blauschwarzen Haarknoten. Ihre Haut war glatt wie Seide. Franca bestellte einen Whisky, ich einen rosa Gin. Die Bardame schenkte auf japanische Art ein, indem sie die Getränke stark mit Wasser verdünnte. Die Eleganz ihrer Hände hypnotisierte mich geradezu. Franca merkte es und schmunzelte.
»Hör auf zu träumen, das ist eine Mama-san, keine Geisha! «
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Ich wunderte mich über die seltsame Bezeichnung, und Franca setzte hinzu:
»Hier werden die Bardamen ›Mutter‹ genannt.«
Ich nippte an meinem Gin. Die Müdigkeit hatte auf mich eine seltsame Wirkung. Alle Lichter, von einem milchigen Hof umgeben, schmolzen ineinander über, und schon das kleinste Geräusch kam mir zu laut vor.
Da trat Charles herein und ging in die falsche Richtung. Franca rief ihn zu uns.
Er ging sehr vorsichtig, hob das Bein bei jedem Schritt etwas an, als ob er die Festigkeit des Bodens prüfte. Ich versuchte meine Sehschärfe auf ihn einzustellen.
Charles war mittelgroß; früher war er schlanker gewesen. Das Gesicht ebenmäßig, ein Lächeln, das einstudiert wirkte. Das Haar trug er jetzt länger. Die braunen Locken kräuselten sich über seinem Hemdkragen; er sah noch jung aus, aber unter seinen Augen hatten sich Säcke gebildet. Zu einer verwegenen schwarzen Lederjacke trug er biedere, gutgebügelte Hosen. Dazu eine dunkle Brille. Oben Rocker, unten Kleinbürger, das paßt zu ihm, dachte ich.
Charles hauchte zwei Küsse auf Francas Wangen und schüttelte mir die Hand.
»Schön, daß ihr da seid. Wie war der Flug?«
»Schlimm!« sagte Franca.
Die Mama-san trippelte an den Tisch, mit den einwärts gekehrten Schritten, zu denen sie ihr enggeschlungener Kimono zwang.
»Ich nehme ein Bier«, sagte Charles. »Japanisches Bier ist billig. Wollt ihr auch eins?«
»Danke«, sagte ich, »ich bleibe beim Gin.«
Franca wollte noch einen Whisky. Charles gab die Bestellung in japanischer Sprache auf, wobei er jedes Wort wie einen Papierstreifen mit scharfen, fast zischenden Lauten trennte. Das Ergebnis war, daß die Mama-san, von unwiderstehlicher Heiterkeit gepackt, auflachend die Hand vor den Mund hielt.
Charles machte ein finsteres Gesicht.
»Sie lachen immer«, sagte er vorwurfsvoll. »Alle Japanerinnen kichern, sobald ein Gaijin, ein Ausländer, das Wort an sie richtet. Sie halten dabei die Hand vor den Mund, weil ihnen beigebracht wurde, ihre wahren Regungen für sich zu behalten.«
Ich hatte nicht den Eindruck, daß die Mama-san ihre Regung versteckte, sondern Charles’ Aussprache überaus lustig fand.
Charles bot Zigaretten an. Franca nahm eine; Charles gab ihr Feuer, wobei sich sein Blick in ihrem Blusenausschnitt verlor.
»Wie findest du Tokio, mein Schatz?« hörte ich Charles sagen. Die Frage galt mir, das Kosewort ebenfalls.
»Wie soll sie das wissen?« antwortete Franca, bevor ich etwas sagen konnte.
»Sie ist ja gerade erst angekommen!«
Charles nickte mir zu.
»Du wirst bald merken, mein Schatz, in Japan erwarten dich viele Eindrücke, 56
aber dein Gesamtbild wird zwangsläufig subjektiv gefärbt bleiben.«
»Vielleicht«, antwortete ich.
In Wirklichkeit hatte ich nicht zugehört. Ich hatte sein Gesicht betrachtet, den schnell sprechenden Mund. Sein Umgangston war lässig, affektiert, die Stimme eines Menschen, der nie sein Gehirn zur Ruhe erzogen, niemals nachgedacht hatte.
Er nahm alles zu ernst, artikulierte seine Sätze, als säße er vor einem Mikrofon.
Er sah mich an; sein Worthandwerk galt offenbar mir. Die
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