Silbermuschel
Szene.
»Er läßt dich also im Stich. Und das akzeptierst du?«
Das kam so unerwartet, daß ich am liebsten gelacht hätte.
»Er wollte schon lange weg. Was sollte ich denn machen? Ihn festbinden?«
»Offen gestanden, ich versteh’ dich nicht ganz«, fuhr Bruno in feierlicher Entrüstung fort. »Wo bleibt dein Stolz? Der Mann bringt dich ins Gerede, und du suchst ihn sogar noch zu rechtfertigen.«
»Es gibt Leute, die kein Ehrgefühl im Leib haben. Ich werde ihm mal gründlich die Meinung sagen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich. Er regte sich tatsächlich auf! Auf einmal wurde mir auch klar, warum. Solange Paul mein Liebhaber war, konnte Bruno ruhig schlafen. Paul war kein professioneller Störenfried. Er erhob keine Besitzansprüche, hatte einen anständigen Beruf, nahm keine Drogen. Ein Teddybär zum Knuddeln, vertrauenerweckend und hygienisch einwandfrei, kurzum, der beste Liebhaber, den sich ein Mann in Brunos Lage für seine Frau vorstellen konnte. Und jetzt brachte Paul unser bewährtes Dreieck ins Wanken, schaffte Unsicherheit, wirbelte Probleme auf. Er wagte es, der Frau seines Chefs den Laufpaß zu geben, was Bruno als persönlichen Affront empfand.
»Was zwischen Paul und mir ist, geht dich überhaupt nichts an.«
»Natürlich geht mich das etwas an! Ich habe nicht die Absicht, mich jetzt in eine Diskussion über unsere Eheverhältnisse einzulassen, ich kann dir nur das eine versichern: So einen großzügigen Partner wie mich findest du kein zweites Mal.«
»Du ziehst ja auch deine Vorteile daraus«, sagte ich ungerührt.
Auf Brunos Gesicht ging eine Veränderung vor; ich starrte ihn fasziniert an.
Mir schien es nahezu unglaublich, was für Facetten seiner Persönlichkeit auf seinen Zügen hintereinander zum Ausdruck kamen. Er heuchelte Gefühle wie ein Schauspieler, bis er sie selbst für wahr hielt.
»Glaubst du, mein Häschen, daß für unsere verwundete Ehe noch Hoffnung auf Genesung besteht?«
»Ich denke eher an eine Amputation«, erwiderte ich kalt.
»Du bist eine Sadistin!« schäumte Bruno. »Der Anblick menschlichen Elends bereitet dir Vergnügen! Aber warte nur ab, du wirst schon büßen, wenn deine Zeit gekommen ist! «
47
Er nahm einen Schluck Kaffee. Ich schwieg. Bruno stellte die Tasse hin.
Wieder veränderte sich sein Ausdruck. Verständnis und väterliche Milde waren jetzt auf seinem Gesicht zu lesen.
»Julie, mein Häschen, wir haben vieles falsch gemacht. Nicht nur ich und nicht nur du, wir beide. Mach diese Reise, um mit dir selbst ins Reine zu kommen.«
Er lächelte jungenhaft und wirkte plötzlich auf seine ganz besondere Art fast anziehend. »Ich schlage vor, daß wir nach deiner Rückkehr unsere Zukunft sachlich und in aller Ruhe besprechen. Ich werde mir ein paar Tage frei nehmen.
Wir fahren ins Engadin. Erinnerst du dich an das kleine, gemütliche Hotel in Sils-Maria? Du kannst völlig beruhigt sein, selbstverständlich kriegst du dein eigenes Zimmer. Mir geht es nicht um Sex, sondern um unsere Ehe, und die liegt mir im Augenblick mehr am Herzen.«
Mir konnte er nichts vormachen, aber er versuchte es immer wieder. Exit Paul, und jetzt witterte er eine Chance, mich zurückzuerobern. Nur, um vor den Leuten als edelmütiger, charakterfester Mann aufzutreten, bettelte er um Zuneigung, lauerte auf ein Zeichen der Versöhnung. Während ich eisig auf ihn herabsah, schraubte er einen vergoldeten Kugelschreiber auf, blätterte in seiner Agenda.
»Du kommst also am 25. zurück? Wie war’s mit der Woche darauf? Ich werde die Zimmer rechtzeitig reservieren lassen.«
Lassen wir ihm seine Illusionen, dachte ich, sonst geht er schlecht gelaunt ins Geschäft und macht Paul das Leben zur Hölle. Er notierte das Datum, klappte seine Agenda zu und blickte mit gewichtigem Ernst zu mir empor.
»Soweit ich sehe, haben wir ja alles hinter uns«, verkündete er, wie beim Aufheben einer Sitzung. »Sehe ich dich noch vor deiner Abreise?«
»Ich glaube kaum.«
Er marschierte zur Tür, hielt plötzlich inne, als ob ihm etwas in den Sinn gekommen wäre.
»Kann ich dir noch etwas behilflich sein? Wie sieht es finanziell aus? Brauchst du Geld?«
Das könnte dir so passen, dachte ich. »Danke, ich komme schon zurecht«, erwiderte ich kalt.
»Dann kann ich ja beruhigt sein. Alles Gute, mein Häschen. Bleib gesund!«
Er bedachte mich mit wohlwollendem Kopfnicken und stolzierte hinaus. Ich schlug die Tür hinter ihm zu, lief ins Zimmer
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