Silbermuschel
Handrücken an die Wange und lachte. Der Handwerker nickte mir zu, einen warmen Schimmer in den Augen. Er sprach einige Worte in seinem schwerverständlichen Inseldialekt.
»Er hat gesehen, daß du den O Mikoshi getragen hast«, sagte Ken. »Du hast an der Verehrung der Meeresgöttin teilgenommen. Er möchte dir dafür danken.«
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»Oh, aber warum denn?«
»Ausländer, die an Feiertagen kommen, sind Glücksboten. Und dein Erscheinen am Fest des ›Sechsten Mondes‹ ist ein besonders gutes Omen.«
»Oh, Ken! Ich möchte ihm sagen, wie glücklich ich hier bin. Und daß ich diese Insel nie mehr verlassen will.«
Ken dolmetschte. Beide alten Leute verbeugten sich tief. Jetzt sprach die Frau, herzlich und lebhaft. Ken lächelte mich an.
»Sie sagt, sie sei stolz, daß du auf Sadoga-Shima bleiben möchtest. Wenn diese Insel zu deinem Herzen spräche, so solle sie deine Heimat sein.«
Später gingen Ken und ich zum Heiligtum, wo einige der Musiker spielten.
Hunderte von Menschen strömten den Pfad hinauf oder hinunter. Viele Frauen waren in leichte Sommerkimonos gekleidet, mit buntbedruckten Schärpen. Sie hielten Fächer in der Hand, und ihre Gesichter lagen im Schatten von Strohhüten, deren Form an eine zweischalige Muschel erinnerte. Auch Männer waren in Yukatas erschienen, einige trugen dazu die gleichen Strohhüte wie die Frauen. Alle Kinder hatten kurze Baumwollhosen, weiße oder blaue Kimonojacken an. Rotweiß gestreifte Stoffbahnen flatterten im Wind. Unter den Bäumen hatten Händler ihre Stände aufgerichtet. Sie boten unzählige unnützverspielte Gegenstände an: Papierlaternen, Puppen, Fächer und winzige Täschchen aus Brokat für Kamm und Spiegel. Daneben wurden Naschereien verkauft: Reiskugeln mit schwarzem Zucker, Süßkartoffeln, Krapfen aus Tintenfischfleisch, auf Holzkohle gebacken.
Bald erreichten wir die Lichtung, wo ein kleines Holzpodium für die Musiker aufgestellt worden war. Soon, Toyoko und Nanami, die drei Mädchen der Gruppe, standen dort in schwarzweiß bedruckten Kimonojacken und kurzen Baumwollhosen vor den Trommeln, schlugen sie mit ebensoviel Schwung und Kraft wie die Jungen. Takeo hielt eine kleine Handtrommel auf der Schulter und gab den Takt an, ein verschmitztes Grinsen auf seinem runden Gesicht. Eric saß mit untergeschlagenen Beinen da und spielte Flöte. Sein Oberkörper schwang im Rhythmus leicht hin und her. Er sah um sich, heiter und zufrieden, als fänden seine Augen nichts, was ihm nicht kostbar und lieb gewesen wäre. Die Musiker sahen uns kommen und setzten eine Pause ein. Die Mädchen winkten und lachten. Ken schwang sich zu ihnen aufs Podium und gab Anweisungen für den Nachmittag.
Eric wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen und reichte mir die Hand. Er hatte eine glatte, etwas feuchte Haut. Er trug die japanische Fischertracht, ohne im geringsten verkleidet zu wirken. Er hatte Vertrauen gefaßt und sprach jetzt öfter mit mir. Wir unterhielten uns über das Fest. Eric sagte, daß er es zum zweiten Mal erlebte.
»Aber es ist das erste Mal, daß ich spielen darf. Früher war ich ein lausiger Spieler. Hatte immer das falsche Tempo drauf, viel zu funky. Der Rhythmus muß aus der Lunge kommen, ganz natürlich. Wie ein Vogel, der mit den Flügeln schlägt. Der denkt sich ja auch nichts dabei, der fliegt einfach.«
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Ich lächelte.
»Du hast schon viel dazugelernt.«
»Nee. Nicht genug. Aber das kommt schon, wenn ich ne Weile hierbleibe. Das hängt mit den Leuten zusammen. Die haben noch was, was wir in Europa nicht mehr haben. Oder kaum noch.«
»Was denn?«
Er legte die Stirn kraus.
»Klingt vielleicht bescheuert, aber ich meine, da ist so etwas wie Religion.
Früher, vor tausend Jahren vielleicht, da war das bei uns auch so. Aber jetzt nicht mehr. Wenn ich in Europa höre, die Japaner, die hätten keine Religion, die verkauften nur noch Autos und Videos, könnte ich die Idioten, die so was sagen, verhauen. Ehrlich, das regt mich auf, das ertrage ich nicht mehr. Die Leute hier, die sind berührt.«
Ich zuckte zusammen.
»Wie?«
Er hob die Hand an seine Lippen und sah mich an. Geistesabwesend.
»Berührt«, sagte er. »Von Gott berührt.«
Am Nachmittag kamen die Musiker, die im Dorf gespielt hatten, in die Übungshalle. Andere würden sie jetzt ablösen. Nun saßen sie auf dem glänzenden Holzboden in einem Gewirr von Brokatstoffen, rot und grün und golden. Neben dem Umkleideraum war eine kleine Dusche eingerichtet. Die Jungen schlurften
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