Silbermuschel
Und langsam, ganz langsam versank er in sich selbst, brachte seine Lebenskraft mit jener der Trommel in Einklang, fast ohne sein Zutun, aber beständig, wie dunkles Wasser über mitternächtlichen Schwemmsand gleitet. Ich kannte jede Regung seines Gesichts, seines Körpers; ich fühlte dieses allmähliche Hinströmen, diese wachsende Osmose. Bald würde er sich der Trommel darbieten, es zulassen, daß ihr Geist von ihm Besitz ergriff. Und davor hatte ich Angst. Er sah mich an mit diesem Blick, der schon so fern war, umfaßte meinen Nacken, zog mich an sich. Dann vergrub er sein Gesicht in meinen Haaren, kraulte mich mit der vertrauten Geste, die ich so liebte.
»Sei ruhig«, flüsterte er. »Ganz ruhig. Dir kann niemals etwas Böses geschehen.«
»Mir nicht«, stieß ich rauh hervor. »Aber dir!«
Er lächelte selbstvergessen.
»Liebste, was machst du dir denn für Sorgen?«
Wortlos rieb ich meine Stirn an seiner Brust. Er trank den Tee aus, legte den Arm um meine Hüften.
»Es wird Zeit«, sagte er.
Die Instrumente waren verladen. Hiro saß am Steuer, eine Zigarette im Mundwinkel. Tetsuo humpelte an Nanamis Arm die Stufen hinunter. Ken half ihm in den Wagen, bevor er hinten durch die Ladetür zu den Musikern stieg. Hiro ließ den Motor an, setzte den Wagen in Bewegung. Wir kamen an der Werft vorbei, an der Fischereigenossenschaft. Hiro fuhr langsam und vorsichtig. Die Hauptstraße war noch von schreienden, stampfenden Gruppen verstopft. Der Wagen schlängelte sich durch enge Gassen, bremste und hupte, während sich die Menschen gegen die Häuser drückten. Dann lag das Dorfzentrum hinter uns, und der Strand kam in Sicht. Die Sonne glühte rosa, das Meer war eine ruhige grüngoldene Fläche. Hiro fuhr im dritten Gang, viel Staub aufwirbelnd, der hinter uns in der klaren Luft hängenblieb. Ein paar Minuten später hielt der Wagen neben der Tribüne für die Ehrengäste. Einige Bauern aus den umliegenden Dörfern saßen auf Decken im Sand, stopften sich mit Stäbchen O Bentô in den Mund und tranken Sake in großen Mengen. Aus einem Transistor dröhnte Volksmusik. Ein rundlicher kleiner Mann mit staksigen Beinen hielt einen Fächer in der Hand, drehte sich schwungvoll und torkelte herum; alle lachten, klatschten in die Hände. Viel Unrat lag nicht herum, alles wurde gleich in Plastiksäcken eingesammelt. Inzwischen zog Hiro behutsam Tetsuo aus dem Wagen, und Nanami reichte ihm die Krücke. Sie 518
hielt ein großes Kissen für ihn unter dem Arm.
Die Musiker sollten auf einer erhöhten Bretterbühne spielen. Ken half mit, die Trommeln auszuladen. Die O-Daiko, auf die Seite gelegt, wurde von schweren, hölzernen Böcken gestützt. Ken prüfte genau die Aufstellung der Instrumente. Er hatte ein klares Konzept im Kopf und führte Regie, ebenso effektvoll und gründlich wie bei einer Inszenierung im Theater. Und doch wirkte alles, was er tat, schwerelos, heiter, stets mit einem Scherz auf den Lippen und einem aufmerksamen Ohr für die Vorschläge seiner Musiker. Alles sah mühelos und fröhlich aus, wie ein Spiel.
Ich saß abseits, allein mit meinen Gedanken, mit diesem angstvollen Flattern in der Brust. Der Transistor schwieg jetzt. Die Bauern sahen zu, wie die Instrumente bereit gemacht wurden. Eine alte Frau brachte den Musikern Whisky. Alle tranken aus der Flasche, auch ich. Der Whisky war nicht gut und brannte in der Kehle. Ich verschluckte mich, hustete. Alle lachten, und Ken kniff ein Auge zu. Ein Sonnenstrahl fiel in die leere Schilfhütte, die Messingschalen mit den Opfergaben glänzten. Die geweihten Papierstreifen über dem Eingang wehten im Wind. Aus dem Mattengeflecht drang ein seltsames Geräusch; mein Blick wanderte zu den Kultfackeln hinüber, die einen langen Schatten in den Sand warfen: die Große Mutter und ihr Gefährte. Die Figuren waren alt, so alt. Die Natur hätte diese Muster aus sich selbst erschaffen können. Sie hoben sich vom grünschillernden Himmel ab wie Bäume. Der Wind wehte mir ihren Geruch entgegen, ein Geruch nach Rinde, warmen Halmen, frischem Stroh. Sie verkörperten das All-Wesen der Kräfte in Gegensätzen, die der Mensch erfährt und mit denen er seine Umwelt gestaltet. Sie waren lebendig; sie warteten.
Und dann sah ich, wie Ken auf mich zukam. Er hatte sein T-Shirt um die Taille geknotet, das Haar federte auf seinen nackten Schultern. Langsam erhob ich mich; er reichte mir die Hand.
»Komm! « sagte er.
Schweigend wanderten wir auf die Mole zu. Eine Weile noch war vom
Weitere Kostenlose Bücher