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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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müde heraus, in Shorts und T-Shirts, öffneten Colabüchsen oder rauchten eine Zigarette. Hiro verteilte kleine Holzschachteln, die eine O Bentô – eine Zwischenmahlzeit – enthielten. Der Kombiwagen, der die Instrumente zum Strand bringen sollte, stand schon vor der Tür. Eine nach der anderen wurden die Trommeln aus dem Übungsraum getragen und verladen. Ich sah Tetsuo mit seinem Bein in Gips auf der Bank sitzen. Seine Krücke lag neben ihm. Er hatte wieder zu üben begonnen und sollte am Abend mit Eric spielen. Nun wartete er auf Nanami, die sich duschte und umzog. Ich setzte mich neben ihn und deutete auf sein Knie.
    »Noch Schmerzen?« fragte ich auf japanisch.
    Er stützte sich mit beiden Händen auf, deutete umständlich eine Verbeugung an.
    »It’s okay! Mir geht es gut. Sehr gut. Vielen Dank.«
    Seine Augen glänzten. Er sprach unbefangen; viele junge Japaner zeigten diese kindhafte Art, die scharfe Intelligenz und hohe Empfindsamkeit verbarg. Cool sein war nicht ihre Sache.
    »Meine Mutter wollte nicht, daß ich ging. Aber sie konnte mich ja nicht ans Bett festbinden, ne? Und ich wollte unbedingt dabei sein, wenn die Taimatsu brennen. Vielleicht tanze ich sogar. Der Arzt sagt, Bewegung sei gut für mich.«
    Ich lachte.
    »Das würde ich dir nicht empfehlen.«
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    »Und dann«, sagte Tetsuo, »schlägt Ken-Sensei die Ô-Daiko, und das ist das Schönste am ganzen Fest, Julie-San.«
    Meine Zähne gruben sich in die Unterlippe.
    »Ich werde nicht da sein.«
    Er starrte mich an.
    »Dôshitano? - Warum?« platzte er neugierig heraus.
    Ich schüttelte stumm den Kopf. Er scharrte mit der Krücke auf dem Boden herum und entschuldigte sich, krebsrot im Gesicht. Das habe er nicht gewußt, er dachte doch… Gomennasai, wiederholte er. Ich beruhigte ihn mit einem Lächeln.
    Aber er merkte, daß ich nicht darüber reden wollte.
    Die Übungshalle war voller Stimmen und Schatten. Ein paar Jungen schoben einen niedrigen Wagen herbei, der rumpelnd über die Bretter rollte. Unter großer Anstrengung hoben sie nun die O-Daiko von ihrem Holzgestell hinunter auf den Wagen. Der karminrote Lack glänzte im Neonlicht. Die auf dem Trommelfell angesammelten Staubteilchen hüpften über den Kreis der Windschraube, als hingen sie in der Luft. Ich meinte ein gelbliches, durch das Trommelfell schimmerndes Leuchten zu sehen, das nicht allein von dem gespiegelten Licht herrührte. Der Anblick weckte in mir die Erinnerung an etwas vor langer Zeit Gesehenes. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber es überlief mich kalt.
    Da kam Nanami, strahlend in ihrem Sommerkimono, der auf weißem Grund ein Muster blauer Hortensien zeigte. Mühevoll riß ich mich aus meiner Erstarrung.
    »Ach, Nanami, wie hübsch du bist!«
    Sie gluckste, hielt die Hand vor den Mund.
    »Nein, das stimmt gar nicht! Ich habe dicke Beine.«
    »Das ist nicht wahr.«
    Die schwarzen Mandelaugen blinzelten schelmisch.
    »Doch, das ist wahr. Deswegen trage ich am liebsten Kimono. Da sieht man nicht, was für dicke Beine ich habe.«
    Ich ging in die kleine Küche neben dem Büro, zündete die Gasflamme an und setzte Wasser auf. Meine Kehle war trocken. Ich brauchte heißen Tee. Ich hatte fotografiert, aber nur wenig. Ich fühlte mich matt und erhitzt. Die Unruhe, die ich eine Zeitlang verdrängen konnte, kam wieder. Die Plötzlichkeit, mit der das geschah, hatte etwas Bedrohliches. Vielleicht werde ich krank, dachte ich. Oder ich habe Angst. Ich vergaß das Wasser und ließ es im Kessel fast verkochen, während ich dastand, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Als ich den grünen Tee aufgoß, kam Ken mit bloßen Füßen die Stufen herauf. Der Becher zitterte in meiner Hand. Ich fühlte wieder das sanfte Streicheln in meinem Unterleib, als ob winzige Perlen über die Innenseiten meiner Schenkel rieselten. Er trat dicht an mich heran. Ich stand mit zurückgelehntem Kopf da, sog die Wärme seines Körpers in mich ein.
    »Wir fahren jetzt.« Seine Stimme klang leise und ruhig. »Ich sehe zu, wie sie 517
    die Instrumente aufstellen. Dann bringe ich dich zum Hafen.«
    Ich reichte ihm den Becher, aus dem ich trank. Er nahm langsam einen Schluck, genau an der Stelle, wo sich die rote Spur meines Lippenstifts befand.
    Und obwohl er mich über den Rand hinweg ansah, bemerkte ich in seinen Augen eine Leere, eine Abwesenheit. Es fängt an, dachte ich. Es hat schon begonnen.
    Noch schwieg die O-Daiko, aber etwas in ihr war erwacht. Er fühlte diese Dinge, wie ich sie fühlte.

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