Silbermuschel
abschwankende, flirrende Linie. Sie wogte auf und ab, trennte und vereinte sich wieder, wie eine Riesenschlange, die ihre Muskelringe dehnt und zusammenzieht.
Bald wurde das sich windende Reptil zum lebendigen, funkelnden Fries, zur urtümlichen Stickerei am blauen Himmel. Der Festzug der »Prinzessin der Großen Wasser« trat vor meine Augen wie eine Vision aus vergangener Zeit, ein wahr gewordener Traum. Er wurde von den Priestern geleitet, die braungoldene Überwürfe trugen und Holztafeln hielten, mit einer Schlinge aus Seidenschnur über die Hand gestreift. Die bestickten Gewänder der Priesterinnen glänzten im wechselnden Spiel des aufgefangenen Lichtes, verwandelten sie in phantastische Fabelwesen, die für die Dauer des Festes auf Erden weilten.
Ich stand neben Ken, verzaubert wie ein Kind im Märchenland, meine Unruhe fast vergessend, nur noch gebannt und entzückt von dem, was ich hörte und sah.
Auf einmal glaubte ich, unter den Trägern ein bekanntes Gesicht zu erkennen. Wer keuchte und stampfte da unter der Last der Tragstange, das runzlige Gesicht in fröhliche Falten gelegt? Es war der hagere, krummbeinige Odasan, der Dorfvorsteher! Er trug das weiße Schweißtuch, die Leggings, die blaue Jacke, schrie sich mit schweißglänzendem Gesicht fast heiser. Offenbar war er – wie die meisten – schon stockbetrunken. Er winkte uns zu sich, mit überbetontem Mienenspiel und heftigem Gestikulieren. Ken brach in Lachen aus, nahm meine Hand. Und ehe ich mich versah, befand ich mich schon mitten in der Gruppe, die Schulter unter die Tragstange geschoben, hineingezogen und mitgerissen in das konvulsivische Stampfen. Das Dröhnen und Keuchen umhüllte mich wie Rauch, vermischt mit dem Dunst der schwitzenden Körper, der erhitzten Baumwolle, dem 513
Geruch nach Reiswein, Staub und Weihrauch. Ken stand dicht hinter mir, fing die Stöße auf, wenn der Tragschrein zu heftig gerüttelt wurde. Seine Hüften und Schenkel preßten sich an meine; mit stampfendem Knöchel und Knie paßten wir uns dem sich steigernden Rhythmus an, verschmolzen mit ihm, spürten in unserem eigenen Körper jede Zuckung und Schwingung der aneinandergepreßten, kraftvollen und naßgeschwitzten Leiber. Wieder kam uns ein Tragschrein entgegen; die Menge kreischte vor Vergnügen, spornte die Gottheiten an, sich im Kampf zu messen. Der Rhythmus steigerte sich: Beide Gruppen stürmten aufeinander zu, zwei Ströme, die zusammenschlugen und ihre Wogen vermischten; die Tragschreine durchschnitten das Gedränge, wie zwei scharfe Kiele sich den Weg durch hohe Wellen bahnen. Die Schreine prallten aneinander mit ohrenbetäubendem Getöse, ragten sekundenlang empor, als hingen sie in der Luft, sanken dann wieder herab. Die Tragstangen vibrierten unter den gewaltigen Stößen, während die hin- und hergeworfenen Tragschreine bald vorwärts, bald rückwärts schaukelten. Plötzlich legten sich die Tragschreine auf die Seite, drehten sich um die eigene Achse, von ihren Trägern in einen kreisförmigen Sog gezerrt.
Männer und Frauen fielen schreiend und lachend gegeneinander. Der Aufprall der halbnackten Körper brachte mich aus dem Gleichgewicht, meine Hände lösten sich von der Tragstange, rücklings fiel ich Ken in die Arme. Er hielt mich fest, legte schützend den Arm um mich, zog mich aus dem schreienden Gedränge. In einer ruhigen Seitenstraße lehnten wir uns an eine Hauswand, kamen lachend und keuchend wieder zu Atem.
»Ein bißchen happig, was?« Ken grinste mich an. »Das gehört dazu. Götter sind selten zart besaitet!«
Neben uns lag eine kleine Werkstatt, in der Binsenmatten hergestellt wurden.
Der Handwerker, ein älterer Mann mit vornehmen Zügen, saß in der kleinen Vorhalle, betrachtete gelassen das Treiben und neigte grüßend den Kopf. Wir grüßten zurück. Der Handwerker rief einige Worte. Eine Schiebetür glitt zur Seite; eine weißhaarige Frau in dunkelgrauem Kimono verneigte sich auf der Schwelle.
Ihrer einladenden Geste folgend, setzten wir uns am Rand der Vorhalle mit den Füßen auf den Steinboden, damit wir die Schuhe nicht auszuziehen brauchten. Die Frau brachte ein Kännchen Sake und vier kleine Schalen. Sie füllte die Schalen mit Reiswein, reichte sie uns auf einem lackierten Tablett. Ich sah, wie Ken die Sake-Schale sehr höflich bis in Stirnhöhe hob, und ahmte es ihm nach. Der alte Mann verbeugte sich und sagte: »Kampai!«.
Wir tranken; der Sake stieg mir sofort in den Kopf, ging mir in die Knie. Ich legte den
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