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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schwere, fast ohne Substanz tanzten die Kraniche ihren Reigen. Sie drehten sich um sich selbst, streichelten sich mit den Schnäbeln, schmiegten die auf- und abwippenden Köpfe aneinander. Ihre immer schrilleren Rufe steigerten sich in wachsender Erregung. So bezaubernd war das Schauspiel ihrer 522
    Leidenschaft, so betörend der Flötenklang ihrer Lockrufe, daß ich mich mitgerissen fühlte von der Lust dieser Vögel. Und obwohl ich den Anblick wie eine Halluzination empfand, erschienen mir die Vögel in ihrem Glück und ihrer Wirklichkeit mit jedem Augenblick zugänglicher. Mir war, als bedürfe es nur eines Schrittes, eines einzigen, um die Freundschaft dieser feenhaften Geschöpfe aus nächster Nähe zu erleben. Wie gebannt tat ich diesen Schritt. Doch genau in dem Augenblick, als ich aus dem Schatten der Büsche in die Lichtung trat, brachen die Kraniche ihren Reigen jäh ab. Die Hälse streckten sich, die Flügel breiteten sich zur vollen Spannweite aus. Der gleiche federleichte Schwung hob beide Vögel hoch. Mit fächerähnlichen Bewegungen schwebten sie über die Tannen, überließen sich dem Nachtwind wie Blütenblätter. Sie fanden eine Säule tragender Luft und flogen, wie vom Glanz des Himmels magisch angezogen, dem Mond entgegen.
    Ihre Silhouetten glitten auf einer Lichtbahn dahin, stiegen höher und entfernten sich, bis das Leuchten sie aufsog und schließlich verwischte.
    War es der Einfluß der Stunde, der Landschaft? Ein Schauer überlief mich. Der Zauber war gebrochen: Ich stand allein und verloren in einem Labyrinth von Dornenbüschen, Schilf und Sumpf und hoffte mit zunehmender Panik, den Weg wieder hinaus zu finden. Schritt für Schritt, die Arme tastend ausgebreitet, wanderte ich in der vermeintlichen Richtung, aus der ich gekommen war, zurück.
    Meine Augen, noch vom Mondlicht geblendet, starrten in die Finsternis. An manchen Stellen glich der Boden einem wassergefüllten Schwamm, in dem meine Füße einsackten. Einmal blieben meine Turnschuhe fast im Schlamm stecken.
    Kaltes, gurgelndes Wasser drang in meine Socken, während ich erschrocken die Füße aus dem Sog befreite. Ich atmete erlöst auf, als ich festen Grund und Steine unter meinen Sohlen spürte. Strauchelnd und rutschend stieg ich einen Abhang hinauf. Der Wald lichtete sich, ich fühlte das Streicheln hoher Gräser. Auf einmal war die Temperatur stark gesunken. Meine Nase tropfte, und meine Füße in den durchnäßten Socken fühlten sich wie Eisklumpen an. Trotz meiner Angst versuchte ich, ruhig zu überlegen. Ohne Uhr hatte ich keine Ahnung, wie spät es sein mochte.
    Schätzungsweise war ich schon über eine Stunde unterwegs. Kimiko mußte sich fragen, wo ich steckte. Vielleicht kam sie mir auf dem Pfad entgegen und hörte mich, wenn ich rief. Ich versuchte es, rief mehrmals laut ihren Namen. Meine Stimme kam mir eigentümlich fremd und schwach vor; kaum, daß sie aus dem Dickicht drang. Vergeblich lauschte ich auf einen antwortenden Laut. Nichts. Die Stille wirkte nahezu gespenstisch. Was nun? dachte ich und kämpfte gegen die Furcht an. Der Hang stieg sanft, aber stetig an; die Orientierung stimmte also.
    Lediglich das Weitergehen im Dickicht war gefährlich. Vorsichtig stapfte ich weiter. Die Feuchtigkeit drang unter mein T-Shirt, lief in kalten Tropfen über meine Haut, aber meine Wangen glühten, als ob ich Fieber hätte. Plötzlich spürte ich einen Luftzug über meinem Gesicht. Ich hörte die Brandung rauschen.
    Schlagartig wurde mir bewußt, daß ich den Bergkamm entlangwanderte und 523
    Gefahr lief, über die Klippen zu stürzen. Ich änderte meine Richtung, wobei der ansteigende Hang mein einziger Wegweiser war. Die Müdigkeit schwappte bleiern in mir. Das Klettern nahm kein Ende; mein Gefühl für Maßstäbe war aufgehoben, mein Urteilsvermögen ausgeschaltet, irgendwo in meinem Kopf war ein Kurzschluß. Benommen tappte ich in der Dunkelheit umher, als der Boden unter mir nachgab. Ich verlor das Gleichgewicht, stürzte kopfüber in eine Vertiefung.
    Mein Knie schlug hart an einem Stein auf, während der Schmerz wie ein Blitzstrahl durch meinen Körper fuhr. Zitternd krümmte ich mich zusammen. Der Schmerz raubte mir fast die Besinnung. Mir war, als ob mein Herz in der angeschwollenen Kniescheibe pochte. Als ich mich über die Wunde beugte, sah ich Blut aus meinen zerrissenen Jeans sickern. Alles drehte sich im Kreis, die Büsche, die Bäume, die Felsbrocken. Und in dem Augenblick, als der schwarze Himmel mitsamt seinem

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