Silbermuschel
herab. Sein Schatten fiel auf das Trommelfell, während er die Schlegel mit ausgebreiteten Armen hielt.
Sekundenlang verharrte er regungslos, vom Sternenglanz übergossen. Dann schlug 525
er hart und blitzschnell beide Schlegel aneinander. Das helle, scharfe Klappern fuhr mir durch Mark und Bein. Ich wußte, daß er die Trommel mit diesen nervenaufreizenden Tönen provozierte, zum Kampf anfeuerte. Noch rührte er sich nicht; das magische Schweigen vor dem Sturm hüllte ihn vollkommen ein. Ich sah die langen, schlanken Muskeln sich unter der Haut spannen. Und gleichzeitig spürte ich ein seltsames Zucken von Nerven, ein Stoßen und Vibrieren, als ob die Trommel nach meiner eigenen Lebenskraft griff. Ich empfand weder Furcht noch Überraschung dabei, sondern nur das heftige Verlangen, die Kraft aus mir herauszupressen, sie Ken zum Geschenk zu machen. Und so konzentrierte ich mich auf dieses Bild, das irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit hing. Die Trennung mußte überbrückt werden. Ich bemühte mich, sie einfach als etwas zu sehen, das mir im Wege stand; mir war nur vage bewußt, wie anstrengend all das war.
Schwaches bläuliches Licht schien nun aus meinem Körper zu strahlen.
Vielleicht war es nur der Mondschimmer. Doch der Bogen wuchs, schnellte vorwärts, flackerte um Kens Körper wie eine durchsichtige Aura. Ich hatte das Empfinden, daß er ohne jegliche Bewegung, nur mit tiefen, gelockerten Atemzügen, diese Kraft wie ein Magnet aufsaugte und speicherte. Und erst in dem Augenblick, als ich erschöpft zusammenbrach – da erst rührte er sich, ging mit gespreizten Beinen langsam und elastisch in die Knie. Das ganze Gewicht auf den Fersen lastend, hob er mit einer fast träumerischen Langsamkeit den rechten Arm weit über die Schulter, bevor er den Schlegel mit voller Kraft an das Trommelfell schmetterte. Ein Windstoß schien aus der O-Daiko zu fegen, erhob sich – als nun auch der linke Schlegel auf die Trommel krachte – wie eine brodelnde Wolke in den Himmel. Schweiß rann wie glitzernde Salztropfen über Kens Rücken, während er abwechselnd mit beiden Schlegeln die O-Daiko geißelte. Die Trommel pulsierte in immer heftigeren Schwingungen. Ein Zittern der Hitze, einer Strahlenkrone gleich, schien sich aus ihrem Rumpf zu lösen, um nach dem Trommler zu greifen, bis beide, umbrandet von gemeinsam entfesseltem Donner, zu einer Einheit zusammenschmolzen.
Ich hatte es geschafft: Die Entfernung war aufgehoben! Mein eigener Leib, wie zum Trommelfell geworden, bäumte sich auf unter dem anderen, der in mich eindrang und in mir pulsierte. Die verschenkte Kraft kehrte wieder und verwandelte mich; ich hörte mich stöhnen vor Schmerz und Seligkeit, wie ich in deiner Umarmung stöhnte. Gemeinsam schwebten wir höher, jenen wunderbaren Gefilden entgegen, wo der Lärm in Stille umschlägt, die Finsternis in Licht. Ich wußte, daß unser Dasein auf Erden zu kurz war für unsere Liebe. Ich spürte, wie die Trommel pochte; sie hämmerte wie unser eigenes Herz, erfüllt von unserer gemeinsamen Lebenskraft. Und als die Anspannung zunahm, fühlte ich eine Art Feuer in mir und lächelte verzaubert, weil alles so einfach und so klar war.
Ken, ich werde nie genug von dir haben. Ich werde die Zeit bewahren, die Zeit 526
ersticken. Die Zeit soll nicht mehr sein. Da ist etwas in den Sternen, was größer ist.
Eine Kraft, die uns mit breiten Armen emporzieht. Ein Hinaufschwingen des Herzens, eine Metamorphose. Ich glaube, ich werde ohnmächtig.
Vielleicht hatte ich tatsächlich das Bewußtsein verloren. Vielleicht war ich nur eingeschlafen. Der genaue Augenblick, als die Verzauberung wich, entging mir.
Langsam, langsam zog sich die Kraft aus mir zurück, im Fortgehen zögernd wie mein Geliebter, der mich unten am Hafen verlassen hatte, mit Tränen in den Augen und mit dem Versprechen, ewig bei mir zu sein.
Und plötzlich war alles vorbei. Etwas rückte von mir weg, ein paar Atemzüge lang fühlte ich mich fallen. Ich löste mich von der Trommel gleich einer Frucht, die prall, süß und schwer von einem Baum fällt. Womöglich hatte ich mir das alles nur eingebildet, hatte nichts als Phantome gehört, den Wind in den Bäumen oder das Schwappen der Wellen in den Ufergrotten. Aber dies war unwesentlich für mich. Es hatte zuvor eine Minute gegeben oder eine Sekunde, während der ich aufgehört hatte, innerhalb meiner körperlichen Begrenzung zu existieren und, völlig preisgegeben, dich mit wachem Geist umarmt und geliebt
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