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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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über meine Schulter hinweg zum Eingang blickte, hob plötzlich den Arm und winkte.
    »Da kommt Michael!«
    Ich wandte den Kopf. Ein Mann mit dunkler Sonnenbrille, der gerade im Vorraum seine Schuhe auszog, winkte umständlich zurück. Polternd ließ er die Schuhe fallen, stieg mit schweren Schritten auf die Matte. Ich bemerkte, wie die Besitzerin mit leicht maskenhaftem Ausdruck die Schuhe aufhob und sorgfältig nebeneinander hinstellte. Großgewachsen, breitschultrig, stapfte er über die Matten auf uns zu. In dem kleinen Restaurant mit der niedrigen Holzdecke und den zierlichen Schiebewänden wirkte sein massiver Knochenbau geradezu aufdringlich. Sein dichtes braunes Haar war zerzaust; ein Bart betonte die harten Wangen. Seine Kleidung bestand aus einem Blazer, zerknitterten Hosen und einem Hemd mit offenem Kragen. Charles stellte uns vor. Ein bestimmter Duft wehte mir entgegen; ich verspürte innerlich ein seltsames Flattern. Dieser Geruch… woher kannte ich ihn?
    Michael ließ sich mit gekreuzten Beinen neben mir nieder und nahm die Sonnenbrille ab, wobei er mir das Gesicht zuwandte. Mein Herzschlag setzte aus.
    Ich konnte nur diese Augen anstarren, leicht vorgewölbt und hell wie blaue Steine.
    In mir bewegte sich etwas, schreckte hoch. Wie ein schlafender Vogel, wenn 67
    der Schatten des Habichts dicht über seinem Nest gleitet. Mein Gaumen, mein Bauch wurde kalt. Der Boden schien unter mir wegzugleiten, und das gedämpfte Licht der Schiebewände erfüllte sich mit schwarzen, sich ausdehnenden Flecken.
    Dann klärte sich mein Blick. Michael saß da und lächelte mich an. Die ebenmäßigen Zähne schimmerten in seinem dunklen Bart. Sein Französisch war flüssig und nahezu akzentfrei.
    »Wie lange sind Sie schon in Japan?«
    Ich holte tief Luft. Ich hörte meine eigene Stimme, kannte sie kaum wieder.
    »Seit gestern.«
    »Schon vorher dagewesen?«
    Der Blick ließ nicht von mir ab. Ich schüttelte den Kopf. Michael rutschte auf seinen gekreuzten Beinen hin und her und suchte eine bequeme Stellung. Wieder streifte mich sein Geruch, vertraut, aus der Tiefe einer alten Wahrnehmung emporsteigend.
    Denk nicht daran.
    Die Kellnerin kam, brachte das übliche Wasser und die »O-Shibori«.
    »Tempura für alle?« fragte Charles.
    Michael wischte sich mit dem heißen Tuch über die Stirn und rieb sich die Hände ab.
    »Und ein Bier dazu, um das Zeug herunterzuspülen.«
    Franca bot ihre Zigaretten an. Alle rauchten, nur ich nicht.
    »Sie schreiben ein Buch über Japan?« fragte sie Michael. »Eine umfangreiche Arbeit, nehme ich an?«
    Michael knipste sein Feuerzeug an.
    »Es gibt mir mehr zu tun, als ich dachte, weil ich den Archipel bereise und fotografiere.«
    Seine Augen glitten über Franca hinweg, blickten mich an und zuckten mit keiner Wimper. Meine Handflächen wurden feucht. Erst jetzt wurde ich mir der besonderen Art bewußt, in der Michael sprach. Seine Stimme war kalt und ausdruckslos, ohne jede Schwingung. Sie schien nicht direkt aus seinem Mund zu kommen, sondern durch ein Mikrofon zu klingen, das ihre Resonanz verfälschte.
    »Schreiben Sie auch?« fragte er mich.
    Ich rückte leicht von ihm ab. Dieser Geruch, diese Stimme… wie sollte ich sie nur ertragen? Ich unterdrückte ein Gähnen.
    »Nur gelegentlich.«
    Inzwischen stellte die Kellnerin das Bier auf den Tisch und brachte das Essen.
    Jeder bekam ein Tablett mit einer Anzahl rotgoldener Lackschalen vorgesetzt. Eine enthielt Reis, in der anderen dampfte Suppe. In einer körbchengleich geformten Schale, auf fettaufsaugendem Seidenpapier, lagen goldbraun gebackene Garnelen und Fischhäppchen, fritierte Auberginen und Paprikaschoten. Ein winziges Gefäß enthielt geriebenen Rettich und blumenartig geformte rosa Ingwerscheibchen.
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    Alles war farblich aufeinander abgestimmt: Eine Rübe war fächerförmig zerschnitten, auf einem Tüpfchen von grünem Senf lag eine kleine goldgelbe Blume.
    Wie schön, dachte ich, wie wunderschön. Aber ich konnte nichts essen, ich war viel zu müde. Mein Kopf, meine Glieder waren bleischwer. Traumbefangen zog ich die Stäbchen aus ihrer weißen Papierhülle. Ich darf nicht einschlafen, dachte ich. Ich merkte, daß Michael mich nicht aus den Augen ließ, versuchte ihn zu vergessen. Aber es war unmöglich. Er war hartnäckig darum bemüht, ein Gespräch mit mir anzuknüpfen.
    »Können Sie schon mit Stäbchen essen?«
    »Es ist nicht schwierig«, flüsterte ich.
    »Auf Ihren Aufenthalt in Japan!« sagte er und hob sein

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