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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Sie mich nicht«, sagte er. »Ich bewundere die Leistungen der japanischen Kultur. Eine Zeitlang habe ich mich mit dem Zen-Gedanken beschäftigt, demzufolge Tod und Leben ein und dasselbe sind. Ein faszinierendes Postulat, das zum Beispiel erklärt, warum intuitives Denken paradoxerweise zu 70
    wirtschaftlichen Erfolgen führen kann. Aber diese japanische Irrationalität, die keine Spielregeln beachtet und weltweite Veränderungen hervorbringt, dieses Phänomen ist es ja, das uns Angst macht.«
    Er schwieg und starrte mich an. Was sah er in meinen Augen? Auch etwas, vor dem er sich fürchten mußte?
    Sei ruhig. Sag irgend etwas.
    »Ich glaube«, stieß ich hervor, »wir sollten nicht überall eine Erklärung suchen.
    Vielleicht ist es gefährlicher, wenn man etwas falsch deutet, als wenn man sich erst gar nicht die Mühe macht, verstehen zu wollen.«
    »Die stumme Julie«, neckte mich Franca.
    Michael ließ mich nicht aus den Augen. Sein Blick glitt über Busen und Halsausschnitt, richtete sich wieder auf mein Gesicht. Es war ein Blick, den man als schamlos bezeichnen konnte. Wieder hatte ich das Gefühl, er könne durch die Augen hindurch bis in mein Innerstes schauen. Aber das stimmte natürlich nicht: Er sah nichts, außer einen leerem Spiegel.
    »Sie sind eine Idealistin«, sagte er. »Aber Idealismus kann auch sehr bequem sein.«
    Sein Blick war wie eine Berührung, ein neugieriges, verstohlenes Abtasten.
    Meine Brüste wurden an den Spitzen empfindlich, und ich wußte Bescheid: Er wollte mich haben. Die Warnzeichen in mir hatten mich nicht getäuscht: Jetzt wußte ich auch, wer er war. Merkwürdig, daß es so kommen mußte. Panik wuchs von allen Seiten hoch, wie schwarze Wände. Und darin eingesperrt mein Herz, ruhelos, flatternd, stürmisch. Ich mußte es tun, auch diesmal wieder. Auch wenn es etwas Falsches, etwas Schlimmes war, auch wenn es über meine Kräfte ging. Aber schrecklicher als damals würde es nicht werden, bestimmt nicht. Und dann würde ich befreit sein von dieser Angst.
    Vielleicht war heute ein wichtiger Tag für mich.
    Denk nicht daran.
    »Sie irren sich«, sagte ich spröde. »Ich mißtraue fertigen Ideen. Sind sie falsch, ist alles falsch.«
    Er lächelte nicht mehr von oben herab, sondern milde und freundlich. Er gab sich so, obwohl es seinem Wesen nicht entsprach. Er wollte mir gefallen. Aber mich konnte er nicht täuschen. Ich verabscheute ihn.
    »Mir gefällt Ihre Unbefangenheit«, sagte Michael. »Sie sind sehr aufrichtig.«
    »Das bilden Sie sich nur ein«, erwiderte ich. »Und ich sage auch nicht immer die Wahrheit.«
    »Ich irre mich selten«, sagte Michael. »Bei Ihnen ist es etwas anderes. Sie passen nicht in die allgemeinen Vorstellungen, die man sich über Gefühle macht.
    Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel: Sie haben prachtvolles Haar. Aber natürlich bin ich nicht der erste, der Ihnen das sagt.«
    »Sie wissen doch«, flüsterte ich, »Hexen haben rotes Haar.«
    71
    In meiner Stimme lag keine Absicht. Ich hatte das nur so gesagt, ohne mir etwas dabei zu denken.
    »In jeder Frau steckt eine Hexe«, erwiderte Michael leichthin. Mein Herz schlug so, daß es mir die Luft abschnürte. Vielleicht sagten diese Worte doch etwas über mich aus, jetzt, in diesem Augenblick. Aber das wußte er natürlich nicht.
    Irgendwo glitt eine Schiebetür zur Seite; ein seidenweiches, schleifendes Geräusch. Ich fuhr zusammen. Die Kellnerin war wieder da. Sie kniete sich neben den Tisch hin, räumte die Schalen und Behälter weg. Sie wischte den Tisch ab, ging hinaus und kam wieder mit einem runden Lacktablett und vier kleinen Keramikschälchen. Grüner Tee. Ich nahm hastig einen Schluck. Der ungesüßte Tee schmeckte herb und erfrischend. Er war so heiß, daß ich mir fast die Zunge verbrannte. Aber ich fühlte mich besser.
    Franca sah auf die Uhr.
    »Schon halb drei. Wir sollten längst wieder arbeiten.«
    »Was machen Sie heute abend?« fragte Michael.
    Ich schwieg, doch Franca sagte:
    »Ach, nichts Besonderes. Wir sind alle noch ein bißchen müde. Aber wenn ich genug getrunken habe, komme ich auch schlaflos über die Runden.«
    Sie klappte ihre Puderdose zu und lächelte Charles mit frisch nachgezogenen Lippen anzüglich zu. Ich wußte, daß sie ihn abends zu sich ins Zimmer nehmen würde.
    »Ich führe Sie aus«, sagte Michael zu mir. »Sie müssen Tokio bei Nacht erleben. Ich kenne einige gute Lokale.«
    »Ich glaube kaum«, sagte ich steif, »daß ich heute noch ausgehen

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