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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einem dichten Netz von Elektrizitäts-und Telefonleitungen, eine Reihe Holzhäuser wie aus einem Bilderbuch, niedrig und verwittert, mit Schiebetüren, blinden Fensterscheiben und winzigen Vorgärten.
    Und überall Gerüche nach Sojasoße, gebratenem Fisch, gegrilltem Huhn. Ich ging wie im Traum, alles war unwirklich, alles gefiel mir. Ich spürte die ungeheure Weite dieser Stadt, aber auch ihre Verspieltheit, ihre Freundlichkeit, und dachte mit Herzklopfen: Wie ich dich liebe!
    Die Messe fand in einem mit Flaggen geschmückten Gebäude statt, einem prunkvollen Halbkreis aus Marmor und Glas. Drinnen gelbe Teppiche, gigantische Blumenarrangements, die übliche nervenberuhigende Hintergrundmusik, von Ansagen in japanischer und englischer Sprache unterbrochen. Hostessen in gelben Uniformen kamen und gingen. Die Größe der Ausstellung, die vielen Menschen, das Stimmengewirr wirkten erdrückend. Was habe ich hier zu suchen? ging es mir durch den Kopf. Ich wollte weg, irgendwohin, hinaus in den frischen Morgen.
    »Wo stellen die Schweizer denn aus?« rief Franca etwas hinter mir.
    »Im zweiten Stock«, sagte Charles.
    Wir fuhren weiter; ich sah die Rolltreppe langsam in die Höhe schweben.
    Hunderte von Stimmen, Hunderte von Schritten mischten sich in der Halle zu einem dichten Summen. Die Wand vor mir schien zu wachsen, sich auszudehnen.
    Ich stolperte fast, als ich oben ankam.
    Die Schweizer Firmen stellten Uhren, Schmuck, Werkzeuge, medizinische Instrumente und verschiedene maschinentechnische Erzeugnisse aus. An den Wänden hingen Plakate des Verkehrsvereins, die verschneite Hänge, blaue Seen und Alpenglühen zeigten, eine Welt, die mir plötzlich ferner und exotischer vorkam als Tokio. Charles stellte uns Peter Brunner, den Leiter des Schweizerischen Instituts für Handelsförderung, vor.
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    Peter Brunner war großgewachsen, schlank, mit leuchtenden blauen Augen.
    Sein Lächeln hatte etwas Offenes, Unverkrampftes – anders als das übliche Zähnezeigen der Wirtschaftsexperten. Franca hatte ihr Tonband umgehängt und hielt ihr Mikrofon in der Hand. Wir sprachen über Handelsbeziehungen, Zolltarife, Konsumgewohnheiten, wobei das Gespräch allmählich eine andere Richtung nahm. Brunner unterbrach sich oft, um das Ergebnis seines Pfeifestopfens zu überprüfen, was seinen Worten etwas Wohlüberlegtes und Besonnenes gab.
    »Man wirft den Japanern gerne einen hohen Grad der Amerikanisierung vor.
    Doch das ist nur die Verpackung. Der Japaner ist viel stärker an seine Traditionen gebunden, als wir meinen. Dem Ausländer fällt das nicht sofort ins Auge. Es bleibt immer ein Zwischenraum offen, der sich nur intuitiv überbrücken läßt.«
    »Wollen Sie damit sagen, daß Japaner sich ungern zu Diskussionen stellen?«
    fragte Franca. »Auf welcher Basis soll man denn mit ihnen verhandeln?«
    Brunner lächelte über seine Pfeife hinweg.
    »Wer als feinfühliger Mensch einige Zeit in Japan lebt, wird bald merken, daß nur Rücksichtnahme und Höflichkeit Erfolg schaffen. Konfrontationen führen zu nichts; die Harmonie ist den Japanern heilig. Über das rein Sachliche hinaus sind menschliche Aspekte von größter Bedeutung. Man muß auch wissen, daß die Japaner eine völlig andere Beziehung zu ihrer Umwelt, zur Natur und zur Technologie haben als wir. Was für uns nur ein Werkzeug ist, empfindet der Japaner als einen irgendwie beseelten Partner. Computer beispielsweise sind nicht nur Maschinen. Die Japaner reden mit ihnen wie Kinder mit ihrem Spielzeug. Und kein Haus, kein Wolkenkratzer wird gebaut, ohne daß vor der Grundsteinlegung ein Priester dem Kami, dem Geist des Ortes, huldigt.«
    »Da kann ich Ihnen nur beipflichten«, warf Charles ein. »Sogar meine Frau glaubt noch an Götter und Dämonen. Diese Form von Aberglauben ist offenbar nicht auszurotten.«
    Brunner nahm mit behutsamer Gebärde die Pfeife aus dem Mund. »Über den Unterschied zwischen Glauben und Aberglauben herrscht weltweit keine Klarheit.«
    Bei den letzten Worten lächelte er mir zu; ich lächelte zurück, während Franca sagte:
    »Ich glaube nicht, daß zwischen Japan und Europa der Unterschied so groß ist.
    Auf geschichtlicher Ebene standen Technik, Wissenschaft und Religion auch bei uns in enger Beziehung.«
    »O ja«, schmunzelte Peter Brunner und klopfte seine Pfeife im Aschenbecher aus. »Aber nur wir, die aufgeklärten Europäer, brachten es fertig, einen Mann wie Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori in Rom zu verbrennen. In Japan hätte man

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