Silbernes Band (German Edition)
schon wieder verzweifelt die Stirn. Ihm zuliebe liess sie es gut sein und akzeptierte Fionns Machtwort. „In Ordnung. Ich ruf nachher gleich bei Guðrún an und sag ihr Bescheid, dass ich eine Weile nicht reiten kann. Den Besuch in Akureyri müssen wir wohl auch verschieben?“, seufzte sie ergeben. „Mama wird bestimmt ganz schön enttäuscht sein.“
Starr und kalt
Den Neujahrsmorgen wollte sie dazu nutzen, ihre Neugier in Bezug auf Unsterbliche in allen Lebenslagen zu stillen. Fionn stand gerade unter der Dusche, was sie sich aber nicht unbedingt ansehen wollte, und Heiðar war nach dem Frühstück hinterm Laptop im Arbeitszimmer verschwunden, um Karten für ein Konzert zu reservieren. Wie das ging, wusste sie. Ihr Studienobjekt Morten hatte sich vor wenigen Minuten aufs Sofa gelegt. Die grüne Tür zum Wohnzimmer stand einen Spalt offen, was wohl bedeutete, dass man den Raum betreten durfte, solange man dabei keinen Krach machte. Heiðar sah das anders. Bevor sie einen Fuss über die Schwelle setzen konnte, wurde sie sanft am Arm zurückgehalten und in die Küche gezogen. „Rúna! Hast du vergessen, was wir besprochen haben? Du sollst nicht in Mortens Nähe gehen, solange er ruht!“ – „Er hat die Tür aufgelassen. Ich möchte bloss mal gucken, wie ein schlafender Unsterblicher aussieht. Bitte!“
Fionn stand plötzlich vor ihnen. Rúna bemerkte ein paar schimmernde Wassertropfen im hellblonden Haar. Abgesehen davon war er wie immer tipptopp gestylt, trug schicke dunkelblaue Designer-Jeans und ein sportliches rot-blaues Karohemd. „Überlass das mir. Sie kann unter meinem Schutz ihre Neugierde befriedigen. Es ist besser, ihr das zu gestatten, bevor sie auf die Idee kommt, ins Schlafzimmer zu schleichen, wenn ich ruhe.“ Rúna ignorierte das skeptische Stirnrunzeln von Heiðar und ging begeistert auf Fionns Angebot ein: „Danke, Fionn! Ich mach auch keinen Mucks, versprochen!“ Sie folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er in gebührendem Abstand vor der Sitzecke stehenblieb. Als sie leise neben ihn trat, legte er fürsorglich die Hände auf ihre Schultern, ging einen Schritt zurück und zog sie vor sich. Durch den Stoff ihrer Bluse fühlte Rúna, wie sich seine Fingerspitzen ganz leicht auf ihre Schlüsselbeine und in die Mulde darunter legten. Ein kühler Atemhauch streichelte ihren Nacken und liess sie frösteln. Sie blickte fasziniert zum schlafenden Morten, der es sich in T-Shirt und Jogginghose auf dem Dreier-Sofa gemütlich gemacht hatte. Da er so klein war, konnte er sich dabei sogar richtig ausstrecken. Er lag auf der Seite und hatte sich ein Kissen untergeschoben, die Arme angewinkelt vor der Brust. Wenn man von der fehlenden Atmung absah, wirkte er eigentlich ziemlich normal, so als wäre er vorm Fernseher eingeschlafen. Rúna hatte sich vorgestellt, dass es aussah wie in den alten Vampir-Filmen, wenn die Untoten starr und kalt in ihren Särgen lagen. Fionn liess sie bloss kurz gucken. Die sanften Hände auf ihren Schultern drehten sie mühelos um und schoben sie aus dem Raum. Im Flur liess er sie los und schloss lautlos die grüne Tür.
Kino, Kino
Björk war mal wieder spät dran, dabei wollten sie gemeinsam ins Kino an der Hverfisgata, die Vorstellung würde pünktlich um Acht beginnen. Morten stand auch schon in den Startlöchern. Wie es sich gehörte, ganz in Schwarz, also schwarze Jeans, schwarzes Hemd, dazu schwarze Sneakers und eine sportliche schwarze Jacke im College-Stil. „Hör mal, das ist ein Frauenabend. Du kannst mich also nicht einfach begleiten. Den Film findest du wahrscheinlich eh doof“, machte Rúna klar. „In Ordnung, ich folge euch in Heiðars Wagen“, erwiderte der Schwarzgekleidete ungerührt. Als es zwei Minuten später klingelte, verbarg er sich im dunklen Wohnzimmer und wartete dort, bis die beiden in Björks rotem Mini Cooper losgefahren waren.
„Ich hol die Karten. Kannst du Popcorn und Orangen-Limo besorgen?“ Björk nickte und eilte zur Theke, wo allerlei Leckereien angeboten wurden. Der Saal war bereits geöffnet, also gingen sie hinein und hielten nach freien Plätzen Ausschau. In der vierten Reihe, links von der Mitte waren drei Sitze frei. „Hier sitzt mein Freund“, bemerkte eine junge Frau mit schulterlangem, mausbraunem Haar, also setzte sich Rúna auf den freien Platz gleich daneben. Geschickt balancierten sie Popcorn und Limonade und verstauten gleichzeitig ihre Handtaschen unterm Sitz. „Hier sitzt mein Freund“, tönte es nochmals.
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