Silbernes Band (German Edition)
grauen Haare ärgern, anstatt unsterbliche Bisse auszukurieren. Womöglich hätten sie einen dummen Streit darüber, wer mit dem Abwasch an der Reihe war oder weil Rúna sich über seine Schlampigkeit nervte. Heiðar sehnte sich zurück nach dem jahrelangen „Mensch spielen“ und konnte es kaum erwarten, wieder in Island zu sein. Fionns Worte rissen ihn aus seinen Gedanken: „Solange Stellan nicht gefasst ist, muss Rúna beschützt werden. Wir wissen nicht, welche Rolle er in George’s grausamem Spiel innehatte, ob er womöglich weiterhin plant uns anzugreifen. Morten reist morgen mit uns nach Island, somit sind wir zu Dritt und können uns abwechseln. Rúna, du solltest deine Arbeit aufgeben. Willst du nicht im Herbst ein Studium aufnehmen?“
Sie blies genervt die Backen auf, stiess geräuschvoll die Luft aus und verdrehte die Augen. „Nein, das kommt nicht in Frage. Ich liebe meinen Job und brauche gerade jetzt diese Ablenkung, die mir die Arbeit verschafft. Ausserdem kann ich es mir nicht leisten, zu Hause rumzusitzen.“ - „Meine liebe Rúna, du weisst, dass wir für dich sorgen. Um finanzielle Dinge brauchst du dich nicht zu kümmern. Es wäre einfacher, auf dich aufzupassen, wenn du nicht mehr zur Arbeit gehst. Du kannst auch nicht mehr zurück in deine Wohnung. Wir wollen auf keinen Fall die beiden jungen Männer in Gefahr bringen, das verstehst du hoffentlich. In den ersten Tagen wird es wohl etwas eng werden in Heiðars Wohnung, aber der Umbau des Hauses ist bald abgeschlossen. Ich denke, dass wir spätestens Mitte Januar einziehen können.“ - „Nein, ich gebe meine Arbeit nicht auf, vergiss es. Stellan wagt es bestimmt nicht, mich in der Buchhandlung anzugreifen, dort bin ich relativ sicher. Ausserdem liegt Heiðars Wohnung gleich um die Ecke.“ Rúna blickte ihn herausfordernd an, sie würde nicht klein beigeben. Das Blickeduell dauerte bestimmt eine halbe Minute, bis Fionn schliesslich einlenkte: „In Ordnung, du arbeitest weiter. Aber du akzeptierst, dass wir dich beschützen. Einer von uns ist immer in deiner Nähe. Darüber diskutiere ich nicht, verstanden?“ Rúna nickte, sie waren sich einig.
Morten ging auf Fionns Geheiss bei dem indischen Restaurant vorbei und verlangte höflich, den Inhaber zu sprechen. Gurinder Patil, ein sympathischer Mittfünfziger mit Brille und Schnurrbart, empfing ihn in seinem kleinen Büro. „Was kann ich für sie tun, Sir? Möchten sie eine Tasse Tee?“ Morten nahm Platz und kramte sein schönstes Englisch hervor: „Vielen Dank, ich bin etwas in Eile. Ich bin hier, um die Rechnung für einen Freund zu begleichen. Er war gestern Abend in Begleitung seiner Verlobten in ihrem Lokal. Der jungen Lady wurde ganz plötzlich übel, weshalb mein Freund sie umgehend nach Hause bringen musste. Ich möchte mich in seinem Namen für die entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigen.“ Mister Patil war angenehm überrascht. Er hatte sich gestern Abend ziemlich geärgert über das junge Paar, das ohne zu Bezahlen verduftet war. „Es ist wirklich sehr freundlich von ihnen vorbeizukommen. Ich schätze die Ehrlichkeit ihres Freundes.“ Er senkte die Stimme und blickte Morten besorgt in die Augen. „Ich hoffe doch nicht, dass mein Essen schuld war am Unwohlsein der jungen Lady.“ Morten lächelte beschwichtigend: „Ich kann sie beruhigen, das ist nicht der Fall.“ Er hielt verschwörerisch die Hand an den Mund und sprach ganz leise weiter: „Die Lady ist in anderen Umständen, daher die Unpässlichkeit.“ Mister Patil lachte erleichtert auf. „Oh, ich sehe. Richten sie dem jungen Paar meine besten Wünsche aus. Das Essen geht selbstverständlich aufs Haus.“ Morten lächelte zufrieden. „Vielen Dank, das ist sehr grosszügig. Die Lady hat in der Aufregung ihren Mantel zurückgelassen und ihre Handtasche in der Toilette vergessen. Wurde vielleicht etwas abgegeben?“ – „Ist es diese Handtasche? Eine Mitarbeiterin hat sie beim Waschbecken gefunden.“ Mister Patil wies mit der Hand auf das gesuchte Stück, das auf seinem Schreibtisch lag. „Ganz genau, das ist sie.“ Morten griff nach der kleinen schwarzen Tasche und überprüfte den Inhalt. Bis auf den Lippenstift fehlte nichts. „Wegen des Mantels muss ich sie bitten, bei der Garderobe nachzusehen. Es hängen mehrere Kleidungsstücke dort.“ Morten erhob sich. „Das werde ich. Herzlichen Dank und auf Wiedersehen.“ – „Ich habe zu danken. Beehren sie uns wieder. Auf Wiedersehen Sir.“ Morten
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