Silbernes Band (German Edition)
steuerte zielstrebig auf die Garderobe zu, griff im Vorbeigehen nach Rúnas Mantel und verliess hochzufrieden das Restaurant.
Daheim
Reykjavík, 28. Dezember 2010
„Hereinspaziert.“ Heiðar stiess mit der linken Hand die Tür zu seiner Wohnung auf. Fionn, Morten und Rúna warteten am Fuss der kleinen Treppe. Die Vorhänge im Souterrain bewegten sich leicht, als Sigga ganz nah an die verschmierte Scheibe trat. Der junge Lehrer und seine Freundin waren aus dem Urlaub zurückgekehrt und hatten sich Besuch mitgebracht. „Wer mag das wohl sein?“, murmelte sie, kniff die kurzsichtigen Augen zusammen und beäugte neugierig den schwarzhaarigen jungen Mann, den sie bisher noch nie gesehen hatte. Den Blonden und die junge Frau kannte sie bereits, die waren ziemlich oft hier. Der Schwarzhaarige trug zwei grosse Koffer. Ob er wohl länger hierblieb? Der Blonde trug ebenfalls einen Koffer und trat auf die Freundin des Lehrers zu.
„Ladies first.“ Fionn liess Rúna mit einem höflichen Nicken den Vortritt. Als sie die erste der vier Stufen zum Eingang in Angriff nahm, fasste er hilfsbereit nach ihrem Ellbogen, geleitete sie bis zur Tür und trat hinter ihr über die Schwelle, wo er den Koffer absetzte. Morten folgte ihnen in den schmalen Flur, der mit drei Personen und ebensovielen Koffern reichlich überfüllt war. Heiðar holte den einsamen Koffer am Fuss der Treppe, er trug ihn mit der rechten Hand, um seinen verletzten Arm zu schonen, der immer noch schmerzte.
„Komm.“ Sobald sie Schuhe und Jacken abgestreift hatten lotste Rúna Morten ins Wohnzimmer. Durch die geöffnete Wohnungstür drang ein eiskalter Windstoss. Heiðar beeilte sich, den Koffer hinzustellen und die Tür zu schliessen.
Es wurde Kaffee aufgesetzt, und Rúna verschwand erst mal im Bad. Sie musste dringend aufs Klo und wollte sich den stickigen Reisedunst vom Gesicht waschen. Die drei Männer im Wohnzimmer erwarteten sie mit freundlichen Mienen. Heiðar zog sie zu sich aufs Sofa und küsste sie zärtlich auf den Mund, als wäre sie stundenlang weg gewesen.
Fionn ergriff das Wort: „Damit unser Zusammenleben in diesen beengten Verhältnissen möglichst reibungslos abläuft, sollten wir ein paar Details besprechen. Ihr dürft davon ausgehen, dass Morten und ich angenehme Untermieter sind. Wir helfen selbstverständlich bei der Hausarbeit, und ihr braucht keine Angst zu haben, dass wir den Kühlschrank leer essen.“ Er lachte amüsiert auf, was Heiðar ein Augenrollen entlockte. „Ihr kriegt natürlich ein Fach, um euer Blut zu lagern, bloss mit den Betten hapert es, darum müsst ihr euch absprechen, wer wann ins Schlafzimmer darf“, meinte er trocken. Morten winkte ab. „Ich brauche nicht zwingend ein Bett, um zu ruhen. Wenn du mir jeweils tagsüber für zwei Stunden das Sofa überlässt, sind meine Bedürfnisse gedeckt. Ich darf bloss nicht gestört werden“, fügte er mit bedeutungsvollem Blick an.
„Warum nicht? Haben Unsterbliche einen leichten Schlaf?“, wollte Rúna wissen. Fionns Stimme klang ernst: „Einen schlafenden Unsterblichen zu wecken ist sehr gefährlich, meine Liebe. Werden wir unverhofft aus dem Schlaf gerissen, reagieren wir instinktiv. So etwas kann tödlich enden, selbst für einen Unsterblichen. Um keinen von euch zu gefährden, möchte ich mich jeweils in euer Schlafzimmer zurückziehen. Morten und ich werden zudem nicht zur selben Zeit ruhen, damit immer einer von uns euren Schutz gewährleisten kann. Ich gehe davon aus, dass ihr mit meinem Vorschlag einverstanden seid.“ Heiðar suchte Rúnas Blick. „Ist es in Ordnung für dich, wenn Fionn unser Schlafzimmer benutzt?“ – „Klar, ich hab nichts dagegen, solange ich nachts nicht gestört werde. Es ist übel, wenn man mich weckt, bevor ich nicht mindestens sieben Stunden Schlaf hatte!“ – „Du hast einen erfrischenden Humor, Rúna. Die Abmachung, einander nicht zu stören, beruht selbstverständlich auf Gegenseitigkeit. Ihr kommt nicht ins Zimmer, wenn ich ruhe, und ich respektiere im Gegenzug eure Privatspähre.“
Als sich Rúna und Heiðar gegen Mitternacht zurückzogen, folgte ihnen jedenfalls niemand. Fionn und Morten sassen im Wohnzimmer und ackerten sich durch die reichhaltige Büchersammlung.
Heiðar legte sich so hin, dass er seine linke Seite schonen konnte. Da die Bisswunden noch nicht vollständig geschlossen waren, trug er immer noch Verbände. Rúna rutschte näher an ihn heran, um sich vorsichtig an die breite Brust kuscheln
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