Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
früher oder später,
wie die Sterblichen es nennen, wird sie dir die Hölle heißmachen.«
Aidan fuhr sich mit der Hand durchs
Haar, seine Gedanken rasten. »Wo? Wo ist sie gesehen worden?«
»In Spanien, glaube ich«, antwortete
Valerian. Er hatte seine Aufmerksamkeit einer Spieldose zugewandt, die auf
Aidans Schreibtisch stand; Valerian liebte Apparate. Er drehte den Schlüssel
um, und die hellen Töne einer uralten Melodie erfüllten den Raum. »Wenn du mir
jetzt sagst, daß du sie suchen willst« erklärte er geistesabwesend, »schwöre
ich dir, keinen Finger mehr für dich zu rühren.«
»Diesen Schwur hast du schon oft
genug abgegeben«, erwiderte Aidan. »Es ist nur schade, daß du ihn nie hältst.«
Valerian lachte, aber das laute
Klicken, mit dem er die Spieldose schloß, war ein sicherer Hinweis auf seine
Stimmung. »Was für ein dreister kleiner Welpe du doch bist! Wer sonst außer
Lisette könnte auf die verrückte Idee kommen, ein solch schwieriges
Menschenwesen in einen Unsterblichen zu verwandeln und uns damit alle zu
ewigem Pathos zu verdammen?«
»Ja, wer sonst?« entgegnete Aidan
seufzend und ließ die Schultern hängen. Er war geschwächt vor Hunger, aber die
Morgendämmerung war schon zu nahe. Es blieb ihm keine Zeit mehr für eine
richtige Jagd. »Es tut mir leid«, sagte er, was jedoch nicht stimmte, und das
wußten beide. »Wirst du es mich wissen lassen, falls du Lisette siehst?«
Der ältere Vampir maß ihn mit einem
kalten Blick, dann sagte er: »Du wirst ihr vielleicht noch lange vor mir
begegnen, Aidan.« Stirnrunzelnd zupfte er seine Handschuhe glatt und setzte
seinen Zylinder auf. »Und jetzt adieu. Es wird gleich dämmern. Schlaf gut, mein
Freund — und vor allem sicher.«
Damit löste Valerian sich in Luft
auf. Er liebte dramatische Abgänge.
Aidan schürte das Feuer im Kamin und
verließ das Haus. Im verschneiten Wald bewegte er sich geräuschvoll wie ein Mensch,
statt mit der Lautlosigkeit eines Vampirs. Vielleicht hatte Valerian ja recht;
vielleicht liebäugelte er mit seinem Verderben, aus der unbewußten Hoffnung
heraus, daß es weder Himmel noch Hölle nach dem Tod gab, sondern nur Vergessen.
Im Vergessen würde er Frieden
finden.
Aidans Hunger war fast unerträglich, als
er sich dem verlassenen Minenschacht näherte, der ihm als Versteck diente. Er
schaute zum Himmel auf und sah, daß ihm noch etwa fünfzehn Minuten blieben,
bevor die Sonne am Horizont auftauchte. Zeit genug, um sich zu Neely zu
begeben, Zeit für einen Blick auf sie, der ihn über den langen, totenähnlichen
Schlaf hinwegtrösten würde.
Doch dann schüttelte er den Kopf.
Nein. Er wagte es nicht, sich ihr zu nähern, wenn er Nahrung brauchte.
Durch das Unterholz bahnte er sich
den Weg zu seiner Höhle, kroch hinein, kauerte sich gegen eine Wand und
verschränkte die Arme um seine Knie. Dann gähnte er, ließ den Kopf sinken und
schlief ein.
Das alte Herrenhaus war Neely in der
Halloweennacht etwas unheimlich erschienen, aber als sie jetzt im hellen
Sonnenschein davorstand, fand sie es harmlos und nicht ungewöhnlich, mit
Ausnahme seiner Größe vielleicht.
Sie wußte selbst nicht recht, warum
sie gekommen war; Mr. Tremayne hatte sie jedenfalls nicht dazu aufgefordert.
Neely wußte nur, daß sie sich zu diesem Haus und zu seinem Besitzer hingezogen
fühlte. Es war, als hätte sie Aidan Tremayne schon immer gekannt, als hätten
sie sich einst sehr, sehr nahe gestanden, um dann brutal getrennt zu werden.
Ihm zu begegnen war wie eine Wiedervereinigung gewesen, die Wiederherstellung
von etwas, das ihnen vor langer Zeit geraubt worden war.
Nach kurzem Zögern betrat sie die
Veranda und klingelte an der Tür.
Niemand antwortete, und so versuchte
sie es ein zweites Mal. Wieder ließ sich niemand blicken.
Neely ging einmal um das große Haus
herum, weil sie hoffte, den Eigentümer im Garten zu finden, aber auch hier
keine Spur von Aidan.
Enttäuscht, aber in gewisser Weise
auch erleichtert, machte Neely sich schließlich auf den Heimweg. Ihre
morgendliche Arbeit war erledigt, sie hatte den Nachmittag frei. Danny würde
bis drei Uhr in der Schule sein, und Ben war mit der Reparatur eines Rohrbruchs
beschäftigt.
Sie beschloß, sich Bens alten Toyota
auszuleihen und nach Bright River zu fahren. Ihre Emotionen ließen ihr keine
Ruhe; sie hatte versucht, Tremayne aus ihren Gedanken zu verbannen, aber es
wollte ihr nicht gelingen. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, die
Redaktion des Clarion
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