Silberschwester - 14
der
ältere Herr den Kopf schief, musterte ihn kurz und versetzte lächelnd: »Noch
eine Freundlichkeit … die zu merken und zu erwidern ist!«
Als er dann
wieder aus dem Zelt trat, stand die Sonne schon über dem Horizont, herrschte im
Lager wie in des Königs Burg reges Treiben. »Nun, junger Herr, sehe ich denn
magierhaft genug aus, um mich auch in die Schar der Bewerber einreihen zu
können?«
Da sprang der
Hauptmann auf und musterte ihn verblüfft: Kein schlichtes Reisekleid mehr,
sondern eine Robe in prächtigen Farben, mit feinsten und zu magischen Symbolen
sich fügenden Stickereien trug der auch größer wirkende Alte da. Volles, weißes
Haar wallte ihm von Stirn und Schläfe über Schultern, Rücken, und er trug einen
ebenso weißen wie eindrucksvollen, in vier Zöpfchen endenden Bart, der ihm bis
auf seine breite Brust fiel. Der Stab in seiner Linken, der soeben noch, und
darauf hätte der Hauptmann ja einen Eid geschworen, bloß ein simpler Stecken
gewesen, war ein reich geschnitztes Zepter mit einem faustgroßen, honiggelben
Bernstein auf der Spitze. Aber was jetzt, vor aller neuen Herrlichkeit und
Pracht der Erscheinung, den jungen Offizier fesselte, faszinierte, das waren
die Augen des Alten – lachend, voller Leben, sprühend vor Macht, Energie waren
sie und von einem Haselnusston, den er, das wusste er genau, nur einmal in
seinem Leben gesehen hatte … aber wo?
Und der
jüngere Mann verbeugte sich tief vor dem älteren und sagte: »Ehrwürdiger
Zauberer, erweise mir die Ehre, dich zum Versammlungsort der edlen Bewerber
begleiten zu dürfen.«
»Die Ehre ist
ganz meinerseits«, erwiderte der greise Herr mit fröhlichem Lächeln. »Aber sag
mir noch deinen Namen, ehe wir uns auf den Weg machen.«
»Ich heiße
Hector, mein Herr.«
»Ein guter
Name und einer, den ich mir merken werde.«
Und ein paar
Augenblicke später, als sie so auf das Haupttor zugingen, fuhr der Alte fort:
»Sage mir, junger Hector, hast du schon Söhne?«
»Noch nicht,
Herr. Ich habe mich eben erst mit einer jungen Frau verlobt, die droben beim
Großen Wald wohnt.«
»Sehr schön!
Wenn du mir diese kleine Prophezeiung erlaubst: Ich sehe eine große Zukunft für
die Söhne, die du und dieses Fräulein haben werdet, ja, eine sehr große
Zukunft.«
»Die erste
Vorhersage des Königlichen Zauberers, mein Herr?«, fragte der Hauptmann
schmunzelnd.
»Kann gut
sein, lieber Hector … kann gut sein.«
ADRIENNE
MARTINE-BARNES
Adrienne Martine-Barnes hat wohl schon
zehn Romane und eine große Zahl von Kurzgeschichten geschrieben. Wenn sie nicht
schreibt, widmet sie sich zeitaufwendigen Hobbys wie Malen und der Anfertigung
von Quilts und Puppen und anderen mehr. Derzeit lernt sie Buchbinden und
Japanisches Flechten, weil sie noch nicht genug zu tun und der Tag doch
vierundzwanzig Stunden hat. Ich habe sie als zartes Mädchen kennen gelernt, das
mir prompt ohnmächtig in die Arme sank. Später sind wir einander ja in der
Gesellschaft für Kreativen Anachronismus bzw. deren Östlichem Königreich wieder
begegnet – dem ersten der Tochterkönigreiche. Kaum zu glauben, aber die SCA
oder Society
for Creative Anachronism ist schon gut über dreißig Jahre alt … Es war
wirklich großartig damals, als wir bloß das zweite Königreich bildeten, und ich
sehe diese Jahre im Rückblick sehnsuchtsvoll als eine Epoche besonderer
Freiheit und Herrlichkeit.
Adrienne wohnt
inzwischen mit ihrer Wunderkatze Caitlin in Portland, Oregon.
Ihre Story
»Namengebung« handelt von einer überaus mächtigen Dame und der Lektion, die sie
noch zu lernen hatte. – MZB
ADRIENNE
MARTINE-BARNES
Namengebung
Fürstin Schwarzdorn bewegte sich
unruhig, stieg widerwillig aus den Tiefen ihres Schlafes empor. Sie fühlte,
dass jemand in ihrem Gemach war und vor ihren Bettvorhängen stand, hörte aber
keinen Laut, weder ein Atemgeräusch noch das Rascheln von Stoff. Sie runzelte
die Stirn, glättete sie aber gleich wieder … sie durfte ja doch ihre berühmte
Schönheit nicht ruinieren – nicht einmal für einen kurzen Augenblick … Das war
bestimmt eine der Zofen. Aber hatte sie nicht Anweisung gegeben, nicht gestört
zu werden? Niemand würde es wagen, ihren Zorn und ihre Ungnade auf sich zu
ziehen … oder?
Langsam und
ungern hob sie die Lider, ein wenig nur, sodass ihre dichten schwarzen Wimpern
noch ihre Augen beschatteten. Sie hatte wunderschöne Wimpern – das sagten alle.
Alles an ihr war schön, war wieder schön, nun, da sie von dem
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