Silberschwester - 14
kriegerisch, und die Blaudorns, gelassen und heiter.
Zudem haufenweise Sonn- und Silberdorns, ein lustiges, aber nicht gerade
bemerkenswertes Völkchen. Endlich diese Monddorns – von ganz anderer Art und
mit einer merkwürdigen Spezies von Magie im Blut, die großen Wandel ankündigte
… Fürstin Schwarzdorn hatte noch nie viel für Veränderungen übrig gehabt, denn
die Dorns der diversen Spielarten hielten hier seit Generationen die Macht fest
in den Händen. Und sie mochte die Verhältnisse, wie sie waren – mit ihr selbst
im Mittelpunkt des Interesses –, und würde es nicht zulassen, dass solch ein
kleiner Dergel die natürliche Ordnung der Dinge störte.
Das Schlimmste
daran war, dass sie, mit ihrer Torheit, selbst Schuld daran hatte. Natürlich
hatte sie gewusst, wie riskant es ist, beim neuen Mond – und vor allem bei
Nebelmond – mit einem Mann zu schlafen. Aber sie war zu arrogant gewesen, um
außer ihren eigenen Gelüsten etwas anderes zu beachten – so wie ihre Mutter es
ihr oft vorgehalten hatte. Nein, sie war nicht eigensinnig, wie diese alte
Fürstin Graudorn manchmal behauptet hatte. Sie wusste nur besser als alle
anderen, was richtig und was passend war. Wie hätte es auch anders sein können?
War sie nicht die beste Schwarzdornseherin seit der fast schon legendären
Kornelia? Nein, vielleicht sogar noch besser als sie, deren Taten und Kunst all
diese Erzähler im Laufe der Jahrhunderte ja bestimmt überhöht und übertrieben
dargestellt hatten. Dass ein schlichtes Kind all das beenden sollte, war
einfach ein unerträglicher Gedanke!
Die Legenden
von Kornelia hatten sie in ihrer Kindheit ganz fasziniert und mit dem Ehrgeiz
erfüllt, ihre berühmte Ahnin dereinst in sämtlichen magischen Künsten zu
übertreffen. Sie hatte ihre beträchtliche Energie, ihre Kraft auf dieses Ziel
verwandt, hatte dafür Ruhm und Macht geerntet. Sie war tief in diese Materie
eingedrungen, hatte sich die esoterischsten Zweige ihrer Kunst angeeignet und
war doch ganz ruhelos und unzufrieden geblieben. Erst als Wrolf Steingrim
aufgetaucht war, Wrolf, mit seinem goldenen Haar, das so im Kerzenlicht
glänzte, und mit jenem lieben Lächeln, das ihr Herz so froh machte, war diese
Ruhelosigkeit geschwunden. Aber sieh doch an, wo dich das hingebracht hat!
Nun machte die
Fürstin einen Schmollmund und versuchte, die dichten Vorhänge, die ihr Bett
umgaben, mit den Blicken zu durchdringen. Vergebens. Aber dass in ihrem Raum,
wo niemand hätte sein sollen, jemand weilte, ein stummer Eindringling, eine
lautlose Präsenz, war noch immer zu spüren. »Fort mit dir!«, rief sie denn
ärgerlich.
»Es ist der
siebte Tag«, ließ sich jetzt eine ihr unbekannte Stimme vernehmen, »Es ist
Zeit!«
Der siebte
Tag! Hatte sie denn so lange geschlafen? Fürstin Schwarzdorn schwoll das Herz
vor Freude! So würde sie ihren Platz behalten können. Die Lösung hatte all die
Zeit vor ihr gelegen – so einfach, wirklich. Und wäre sie selbst nicht so
furchtbar schlau gewesen, hätte sie das doch so Naheliegende schon früher
gesehen … Nein, sie brauchte das Mädchen nicht zu töten, sie musste ihm nur den
Namen verweigern.
Denn ohne
einen Namen, den die Mutter ihm geben musste, würde es jetzt rasch
dahinschwinden und in den ersten Stunden des achten Tages sterben. Sie musste
also bloß bis Monduntergang stumm bleiben, dann wäre es schon vollbracht. Und
sie würde ihre Schönheit und Macht behalten – niemand könnte sie ihr je wieder
einmal streitig machen. Und die kleine Räuberin wäre für immer dahin …
Doch die
Fürstin empfand außer Triumph auch einen Hauch von Furcht. Es würde Klatsch
geben – die Dienerinnen und Diener tratschten doch immer über die Herrschaft,
gleichgültig, wie oft man sie züchtigte … Die alte Hannah würde es auf jeden
Fall erfahren. Sicher war sie auch diejenige, die nun vor ihrem Bett wartete,
denn wer sonst im Hause würde es wagen, ungebeten bei ihr einzutreten?! Nun,
Hannah war alt, und Alte konnte man zum Schweigen bringen. Es wäre ja nicht das
erste Mal, dass sie sich eines Störenfrieds entledigte – und wohl auch nicht
das letzte Mal. Dessen war ihre Mutter kurz vor ihrem Tod noch inne geworden.
Und plötzlich
fröstelte es die Fürstin am ganzen Leibe: Es war ein Fehler gewesen, an die
Mutter zu denken, denn dabei kam ihr ihre Weissagung in den Sinn, die letzten
Worte, die sie, um Atem ringend, mit blau angelaufenem Gesicht und weit aus dem
knochigen Kopf tretenden Augen, gehaucht
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