Silberschwester - 14
sich von der Leere in ihrem Herzen zum
Spiegelbild ihrer Meri zog.
So hob sie ihr
Schwert erneut zum Ausfall, zum Hieb, drehte sich zu dem am nächsten stehenden
Qr um und rief: »Lass sie frei oder stirb!«
»Wir können
das doch nicht«, erwiderte eine hohle Stimme in ihr. „… können nicht, können
nicht, werden nicht …«
»Warum? Was
habt ihr ihr angetan?«
Da zuckte die
Gestalt mit den Schultern und schüttelte sich vor schierer Angst.
»Feiglinge,
Lügner! Ihr schuldet mir mein eigenes Blut! Ihr habt meine Schwester
erschlagen, mitsamt dem Jungen und dem Enaree meines Stammes! Ich sage noch
einmal: Lasst sie frei, auf der Stelle!«
»Sie wird
durch Bande gehalten, die wir nicht durchtrennen können«, war da wieder die
Stimme mit dem unheimlichen Echo zu vernehmen. „… durchtrennen, durchtrennen,
niemals …«
Seylana tat
einen Gleitschritt auf den nächstbesten Qr zu. »Dann wollen wir mal sehen, was
ich durchtrennen kann!«
„… geh, geh,
weh, weh …«
Dann trat
eines jener Wesen vor. Eine Klinge, nicht mehr als eine verfestigte Wolke,
erschien in seinen Händen … Seylana teilte es schräg von oben, von der
Vereinigung von Hals und Schultern an. Wie glatt doch schnitt das
rasiermesserscharfe Schwert!
Aber schon war
das scheinbar feste Fleisch wieder verheilt.
Seylana
parierte eine Riposte. Und schlug tief, der Kreatur geradewegs durch den Bauch.
Wieder keine Wunde.
Schwer atmend
wich sie etwas zurück. Wenn nicht zum Töten, warum dann war sie hier?
Sie blickte
auf den Lichtstrang hin, der sie einerseits mit ihrer Schwester verband und
andererseits mit … ja, womit? Mit ihrem Tod in der blutbespritzten Burg, hatte
sie bisher gedacht. Aber nun schwante ihr, dass er sie ja mit dem Leben
verband!
Und das Leben
dadurch mit ihrer Zwillingsschwester.
Und durch Meri
hatte das Böse jetzt ein Tor in die Welt.
Qr war in
jener Nacht auf dem Hügel durch die zweifach, von Sonnenwende und
Sonnenfinsternis, verdünnten Wände zwischen den Welten gebrochen. Nach der
natürlichen Ordnung, wie die Priester sie beschrieben, hätte das nur eine
Stunde währen dürfen … Doch jetzt hatte es ein Einfallstor, das nicht zu
schließen wäre, solange sie und Meriadess noch miteinander verbunden wären.
Es wäre recht
einfach, den Strang, der sie mit der Welt der Lebenden verband, zu
durchtrennen, um dann bei Meriadess zu bleiben. Vielleicht verbrächte sie die
ganze liebe Ewigkeit damit, gegen Qr zu kämpfen. Aber solange sie beide
zusammen waren …
Meri?
Seylana
blickte in die Augen, die so wie die ihrigen waren. Doch da war keine Antwort
darin, nicht einmal ein Flackern. Trauer überkam sie, wie eine gewaltige Woge.
Die alte Wunde pochte wieder, schwieg aber dann. Sie könnte ihre Schwester nie
mehr in die Arme nehmen und nie mehr ihre Stimme hören, den Atem ihrer Lungen
teilen. Was auch geschähe, Meriadess war auf immer für sie verloren.
Um aber die
Welt der Lebenden zu retten, Gelon und Aschkant und all die weiten Lande
dahinter, musste sie Meriadess nun loslassen. Die Leere loslassen, die sie all
diese Jahre wie einen kostbaren Schatz gehütet hatte.
So sah sie auf
das Schwert in ihrer Hand hinunter, auf den Lichtstrang auch. Und schwang die
Klinge und schlug zu, in einer einzigen raschen Bewegung, und durchtrennte das
Band zwischen sich und der Schwester.
Das Bild von
Meriadess verblasste zum Nichts.
Und Seylana … Ihr
Schwert schrie auf, so wie ein Mensch im Todeskampf. Licht explodierte rings um
sie. Die Luft zerriss mit lautem Knirschen. Stein barst, ging in Flammen auf.
Der baumelnde Strang schnurrte ein. Und sie fühlte, wie sie mit atemberaubendem
Tempo rückwärts durch den Raum zischte. Ihr öffnete der Mund sich zu einem
lautlosen Schrei. Und Qr, im Mahlstrom erfasst, verschwand in der Ferne.
Das Heulen des
Fahrtwinds ging ihr durch Mark und Bein. Sie wollte sich die Ohren zuhalten,
jedoch die Hände gehorchten ihr nicht. Sie bäumte sich, zappelte wild, flog
jedoch immer schneller. Ein Frösteln, eine Eisesschwäche kroch ihr durch die
Adern, der Kopf hing ihr schlaff herunter, und das Herz stockte ihr.
Jetzt landete
sie wie ein Sack auf hartem, kaltem Grund und spürte, wie ihr scharfkantige
Steine ins Fleisch schnitten. Sie blinzelte, schüttelte den Kopf – sie war
mitten in der Burg. Durch deren Ostfenster fiel Morgenlicht. Ihr Schwert, die
Klinge schwarz verbrannt und völlig verbogen, lag neben ihr. Der Onager sprang
schnaubend auf die Hufe. Stöhnen von der anderen
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