Silberschwester - 14
sorgen, dass deine Schwestern nicht darauf kommen … zumindest nicht
jetzt schon.« Damit lockerte sie den Griff etwas, um der jungen Mutter wieder
etwas Luft zu geben, ließ sie aber nicht los.
Nun biss Ora
sich auf die Lippe, aus Angst vor dem, was käme. Sie schüttelte den Kopf … was
immer Trista androhte – sie täte es diesmal nicht. Ich sticke dieses Muster
nicht!
»Dir ist
offenbar die Schwere deines Verbrechens nicht recht klar. Auf unbefugtes
Betreten meines Landes steht die Todesstrafe!«
Die Frau
versuchte, den Kopf zu schütteln, doch Trista hielt sie eisern fest. »Aber ich
bin ja fair … Ich werde eine von euch gehen lassen«, sprach sie, grausam
lächelnd. »Aber die andere, die bleibt. Mein Körper, siehst du, mag er auch
jung erscheinen, hat seine Lebensessenz bald verbraucht. Eine von euch wird ihn
mir wieder auffüllen.«
Nun ließ sie
die Mutter gehen, und die starrte sie, um Atem ringend, entsetzt an.
Ora fühlte
etwas Feuchtes, Klebriges in der Faust – und sah nun, dass sie sich die
Sticknadel in die Hand gebohrt hatte.
»Wer von euch
soll es also sein? Du oder deine Tochter? Ihr habt bis morgen Zeit, euch zu
entscheiden«, rief Trista und schloss mit einem Blick auf ihre Männer: »Schafft
sie in den Turm!«
Ora schlug das
Herz bis zum Hals, denn jetzt drehte sich ihre Herrin um und sah direkt zu
ihrem Turmfenster hoch, und ihr war, als ob sich dieser Blick in ihren Kopf
bohrte, und tiefe Abscheu erfüllte sie. »Hallo, Ora«, rief Trista jetzt. »Ich
hoffe, du genießt den Anblick!«
Ihrer Zunge
und ihrer zitternden Lippen nicht mehr mächtig, sagte Ora sich nur noch stumm:
Diesmal tue ich es nicht! Sei tapfer!
Trista grinste
böse. »Wie du wohl ahnst, brauche ich wieder die Robe des Lebens. Du erneuerst
mir das magische Zeichen bis morgen Abend! Ach, wie ich darauf brenne, meinem
Körper neuen Saft und neue Kraft zu geben. Und jetzt hängt das nur von der
Schnelligkeit deiner Nadel ab … Mach dich also an die Arbeit!«
Da tat Ora den
Mund zum Widerspruch auf, brachte aber nicht ein Wort hervor. Sie schluckte und
versuchte, nicht daran zu denken, dass sie für die erste Weigerung teuer
bezahlt hatte – ein Bein hatte sie ihr damals zerschmettert. Ich werde es nicht
tun!
»Ora! Hast du
mich verstanden?«
Die Frau dort
droben im Turm neigte den Kopf. »Ja, Herrin!«
Ora blieb vor der schwer bewachten Tür
stehen, holte einmal tief Luft. Der Wächter warf ihr bloß einen kurzen Blick
zu, ignorierte sie dann wieder und starrte stumm geradeaus. Und Ora, das
Unvermeidliche hinauszögernd, studierte bemüht die graue Maserung der roh
zugehauenen Türbohlen, vermerkte gar bei sich, dass die Türangeln ganz rostig
waren. Ach, wie ihr dieser Teil verhasst war … mehr noch als diese Transfusion
selbst. Diesmal könnte ich abhauen!
Der Gedanke
hätte sie fast lachen gemacht … Wohin abhauen? Sie war zu alt, um sehr weit zu
kommen, und selbst wenn ihr das gelänge – Trista würde eben eine andere finden,
die ihr die Drecksarbeit erledigte. Außerdem, nach all der Zeit war es
vielleicht ein wenig spät für so einen Gesinnungswandel. Sie hatte ihr
Schicksal Jahre zuvor besiegelt, als sie noch auf der anderen Seite gewesen war
…
So wappnete
Ora sich nun, strich sich ihr Kleid vorne glatt und nickte dem Wächter zu. Der
hob rasch den dicken Riegel, der die Tür sicherte, und bezog, das Schwert
bereit, an der einen Seite Position. Da stieß Ora die schwere Tür halb auf und
trat vorsichtig in die kleine Kammer ein … Und die Tür fiel krachend hinter ihr
zu.
Die Gefangene
stand, mit noch rücklings gefesselten Händen, in der Mitte des Raumes. Stolz
stand sie da und starrte die ungebetene Besucherin böse an. Eine Locke ihres
Haares, dem Zopf entwischt, hing ihr in die Stirn und bedeckte fast ein Auge … Ora
widerstand nur mit Mühe dem Impuls, sie ihr aus dem Gesicht zu wischen, und sah
verlegen zur Seite.
»Du kannst dir
bestimmt denken, warum ich hier bin«, begann sie, immer noch ihren Blick
vermeidend. »Frau Trista wartet auf deine Antwort. «
»Da kann sie
warten, bis die Sonne erkaltet!«
Ora schüttelte
den Kopf. »Du begreifst wohl nicht, worum es geht … Frau Trista muss alle
sieben Winter die Lebensessenz ihres Leibes erneuern. Als Zauberin verbraucht
sie sie ja im Nu. Du nimmst ihre Worte also besser ernst. Eigentlich nähme sie
lieber deine Tochter, weil die doch länger vorhält. Aber so spielt sie das
Spiel nicht. Sie liebt Überraschungen. Und die
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