Silberschwester - 14
das Eisen noch an die Brust
gepresst, langsam nach der Herrin um.
Die stand hoch
erhobenen Hauptes, die Robe des Lebens glatt über den Arm gelegt, bei der Tür
und musterte sie – bis ihr Blick auf die müde, alte Waffe fiel. »Ich habe dir
doch verboten, sie je wieder herauszunehmen!«
Ora verbiss
sich eine Antwort.
Da warf Trista
ihr barsch das Kleid zu. »Das muss bis morgen früh fertig sein. Hast du nun,
was du brauchst? Hast du das Haar bekommen?«
»Ja, Herrin.
Es ging, wie es immer geht.«
Trista nickte
knapp. »Gut. Vergiss nicht: bis morgen früh!«
Aber Ora, von
heißem Jähzorn überkommen, zog einen schiefen Mund und stammelte: »Ich … ich … tue
… es nicht …«
Trista fuhr zu
ihr herum. »Was hast du gesagt?«, fragte sie, so leise.
Ora reckte
sich, straffte die Schultern. »Ich tue es nicht!« Damit warf sie das Kleid zu
Boden, hob drohend ihr Schwert. »Das hätte ich schon vor Zeiten tun müssen!«,
schrie sie und lief schwerfällig, mit ausgestrecktem Schwert, auf sie los.
Trista trat
nur einen Schritt beiseite und packte sie so am Hals, dass sie japste und mit
den Zehenspitzen auf dem Boden Halt suchte, derweil ihr Schwert über die
Fliesen flog.
»Ist es nicht
etwas zu spät dafür«, höhnte Trista grinsend, »solche Gewissensbisse zu hegen?
Wie viele Mütter hast du schon da in mich hineingestickt? Sechs … sieben?«,
schrie sie und schnaubte verächtlich. »Du bist doch viel zu feige, um mir zu
trotzen. Jetzt stick dieses Zeichen!«
Damit ließ sie
Ora los, und die sank, nach Atem ringend, zu Boden. Trista aber rauschte zur
Tür hinaus, ohne sich auch nur einmal nach ihr umzublicken – und die Wächter
folgten ihrer Herrin auf dem Fuß.
Ora kroch zu
ihrem Stuhl, zog sich daran hoch. Langsam wieder zu sich kommend, setzte sie
sich, Strähne, Kleid und Nadel in den Händen. Trista hatte doch Recht. Sie war
feige. Dicke Tränen füllten ihr die Augen … ach, es hatte Zeiten gegeben, da
hätte sie nicht so mit sich umgehen lassen. Ja, es hatte Zeiten gegeben, da
hätte sie solch einem Teufel wie Trista in die Augen geblickt, ohne mit der
Wimper zu zucken. Aber jene Zeiten waren vorüber. Sie war eben ein Feigling.
Ora zupfte
sich aus der Strähne, was sie benötigte. Nur war da ein weißes Haar, mit den
anderen verflochten: So wie das Los einer Tochter mit dem ihrer Mutter
verflochten war. Die beiden kann man nicht voneinander trennen, und versucht
man es doch, mit Gewalt, verletzt man nicht nur die eine, sondern alle beide.
Mutter oder Tochter? Es war keine faire Wahl. Sie war bei ihr und Elita nicht
fair gewesen und wäre es auch bei diesen beiden nicht.
Dann sah Ora
durch ihr Fenster zum dunkler werdenden Himmel auf. Warum zögerte sie diesmal?
Warum war es diesmal anders für sie? Vielleicht brauchte es einfach eine Weile,
ehe man endlich die richtige Entscheidung treffen konnte.
Am nächsten Morgen, zur genannten
Zeit, kam ein Wächter, um Ora zu holen. Sie hatte kaum geschlafen, hatte den
Großteil der Nacht emsig die Robe des Lebens bestickt … dabei dank Tristas
magischem Glühstab auch gut genug gesehen, um diese heikle Arbeit zu Ende
bringen zu können.
Das sorgsam
gefaltete Gewand über dem rechten Arm, ging sie mit dem Wächter sogleich zum
Verlies der jungen Mutter. Die Tochter war auch schon bei ihr. Bei Oras
Eintreten blickten beide erstaunt auf. Ora lächelte und verbeugte sich leicht
vor jeder.
Nun erschien
Trista – sie blieb in der Tür stehen und musterte kurz jeden im Raum. Dann
verharrte ihr Blick auf der Robe des Lebens und dem neuen Symbol. Rasch hatte
sie die Stickerei ins Auge gefasst, das Weiß der verwendeten Haare bemerkt. Nun
trat sie vor und untersuchte sie genau. »Die scheint für diesmal eine
Überraschung anzukündigen …«
Ora schluckte
und nickte respektvoll. »Ja, Herrin. Durchaus möglich.«
Da gewahrte
die junge Mutter das Zeichen und sah beunruhigt auf, starrte Ora aus
zusammengekniffenen Augen an. Und wollte sich auf sie stürzen – aber die
Wächter hatten aufgepasst und rissen sie zurück.
Süffisant
grinsend, sah Trista wieder zu Ora hin. »Gut. Ich liebe Überraschungen.«
Ora lächelte
nervös. Nein, wohl nicht, dachte sie. Du lebst schon so lange, dass du alles
auf dieselbe Weise machst, und merkst es nicht einmal.
Trista wandte
sich zu der Mutter, nahm ihre Hände und sagte lächelnd: »Ich möchte euch beiden
dafür danken, dass ihr mir helfen wollt. Ich weiß, dass es eine schwierige
Entscheidung war … das
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