Silberschwester - 14
sage ich ohne Häme. Ja, ich spreche euch beiden meinen
Respekt aus.«
Die junge
Mutter versuchte sich auf sie zu werfen, aber die Wächter hielten sie eisern
fest.
Jetzt trat
Trista zu Ora hin, drehte sich mit dem Rücken zu ihr und mit dem Gesicht zu
Mutter und Kind und sprach: »Ora, ich glaube, es ist Zeit.« Und damit langte
sie über die Schulter zurück. »Das Kleid!«
»Ja, Herrin«,
erwiderte Ora, riss die Robe von ihrem rechten Arm, hob ihr rostiges Schwert
und reckte sich, um es Trista in den Rücken zu stoßen.
Doch die
witterte die Gefahr, fuhr herum, trat einen Schritt zur Seite, erwischte dabei
Oras Arm auf halbem Weg, riss ihr den Arm in einer einzigen schnellen Bewegung
herab und brach ihn ihr überm Knie … Ora hörte noch die Armknochen krachen, spürte
ihre Finger erschlaffen. Da fing die Hexe schon die Klinge auf, die ihrer Hand
entfallen war.
»Du bist immer
noch ein Feigling, altes Weib!«, spottete sie. »Versuchst, mich von hinten zu
erstechen … Ich weiß nicht, was da über dich gekommen ist. Aber von nun an kann
ich dir wohl nicht mehr trauen.«
Damit riss sie
ihr das Gewand des Lebens aus der heilen Hand und stieß ihr das Schwert in die
Brust.
Ora aber, vom
Schmerz erfüllt und in Schmerz gehüllt, griff sich an die Brust, taumelte
rückwärts, bis sie an die Wand stieß, rutschte daran herunter, saß dann wie
betäubt. Ihre Hände und Füße waren wie Eis, und Trista, die schien ihr so weit,
so ganz weit weg. Sie fühlte förmlich, wie ihr Leben ihr entschwand, entglitt.
Bitte, Göttinmutter, hilf mir nur noch dieses eine, letzte Mal. Ich flehe dich
an!
Durch den
Nebel hindurch sah sie Trista lachen und sich die Robe über die Schultern
ziehen, das magische Zeichen in die Luft malen, und wie durch Watte hörte sie
die magischen Worte, die Worte zauberischer Macht sprechen. »Ich rufe euch
Dunkle Eine. Hört meine Worte. Deslead! Leciton! Tropmie!«
Mit jedem Wort
wuchs die magische Gegenwart in der Kammer –ein Spannung, die einem eine
Gänsehaut verursachte und die Haare zu Berge stehen ließ. Und Ora sah wie aus
einem langen Tunnel, wie Trista ihr Zauberwerk vollbrachte … Das ist es, dachte
sie, jetzt sterbe ich.
Da fuhr Trista
grinsend fort: »Oh, Große Dämonin. Tu genau, was ich sage. Übertrage, durch die
vermengten Essenzen des Zeichens auf diesem Gewande, die Lebensessenz von der
damit Gesegneten auf die deren Bedürftige!«
Jetzt baute
sich, wie bei einem aufziehenden Gewitter, eine Kraft auf, eine magische
Spannung, die bald den ganzen Raum erfüllte. Ora hörte das Mädchen weinen,
spürte, wie ihr ein kalter Wind am Haar und Kleid zerrte. Schließlich aber, als
der Zauber nun stark und mächtig geworden war, erfüllte ein blendend helles
Licht die Kammer … Ora hatte kaum noch die Kraft, einen klaren Gedanken zu
fassen – das alles hier war sehr weit entfernt …
Plötzlich
fühlte sie ein Kribbeln in der Kopfhaut und hörte gleich darauf den Schrei der
Verdammten. »Du hast mich hereingelegt …«
Als sich
schließlich alles beruhigt hatte, waltete eine so gespenstische Stille, dass
Ora sich für einen Moment fragte, ob sie nicht bereits tot war. Aber einen
Herzschlag später tauchte die junge Mutter in ihrem Gesichtsfeld auf und – zu
Oras größter Erleichterung – auch ihre Tochter, direkt an ihrer Seite. Und
hinter den beiden lag eindeutig etwas Asche auf dem Boden, daneben aber, in
einem Haufen zusammengeknäult, die Robe des Lebens.
Ora versuchte
sich aufzurichten. »Ihr zwei … seid ihr wohlauf?«
Die Mutter
nickte. »Und du? Du warst doch … tot. Wie hast du dich geheilt und zugleich die
Hexe getötet?«
Ora fühlte
sich so gut wie schon seit Jahren nicht mehr. Und ihre Verletzung? Sie sah an
sich herab: In ihrer Bluse war, wo das Schwert sie durchbohrt hatte, ein Loch
zu sehen, und darum herum war sie nass von Blut. Aber sie selbst war
unversehrt! Verdutzt blickte sie wieder die beiden an und sagte: »Ich wollte
Trista das Handwerk legen und hatte fest vor, sie zu töten. Doch für den Fall,
dass es mir nicht gelänge, sollte euch doch nichts passieren. Deshalb habe ich
das Zeichen mit meinen eigenen Haaren gestickt. Damit sie mir das Leben nimmt,
nicht einer von euch.« Wieder sah sie an sich herab. »Meine Lebenskraft war
durch die Verletzung, die Trista mir beibrachte, wohl schon so ausgelaufen, dass
es da nicht mehr viel zu holen gab. So wurde stattdessen ihr genommen, was sie
noch besaß, und mir geschenkt. Wie Wasser, das bergab
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