Silberstern Sternentänzers Sohn 01 - Der geheimnisvolle Hengst
oder sie beschimpfen würde. Eigentlich hätte sie sich befreit fühlen müssen, aber in ihrem Kopf kreisten immer noch viele quälende Gedanken.
Und wenn der Tierarzt doch Recht hat mit seiner Vermutung, die Pferde wären überfordert?, dachte Annit. Aber dann müssten sie ja eigentlich immer noch unruhig sein. Nein, er hat sich geirrt! Es muss einen anderen Grund geben, warum die Tiere so nervös waren. Ist es doch der Junge gewesen?
Annit merkte erst jetzt, dass Silberstern immer schneller lief. Vermutlich spürt er meine Unruhe, dachte sie, Und vielleicht spürt er auch meinen Wunsch, dass ich am liebsten davonlaufen würde vor dem Gedanken, der Junge könne schuldig sein. Und das überträgt sich auf ihn! Plötzlich erblickte sie ein Stück weiter vorne einen breiten Graben. Sie versuchte den Hengst zu zügeln. Doch Silberstern schien dieses Hindernis als Herausforderung anzusehen. Er setzte kurz vor dem Graben zum Sprung an, und gemeinsam flogen sie hinüber und landeten weich auf der anderen Seite.
„Wolltest du mir zeigen, dass wir gemeinsam alles schaffen?“, rief Annit und tätschelte liebevoll Silbersterns Hals. Der Hengst warf den Kopf auf und ab und schnaubte zufrieden, während er in einen gemächlichen Trab fiel.
Als sie nach einem ausgedehnten Ausritt zu dem Zirkusgelände zurückkehrten, fühlte Annit sich ein biss chen ruhiger. Sie war nun überzeugt, dass sie gemeinsam mit Silberstern jedes Hindernis in ihrem Leben meistern könnte.
Am späten Nachmittag saßen Annit und die anderen Artisten im Schatten und tranken kühle Limonade. Es war sehr heiß. Die Sonne hatte die Luft so aufgeheizt, dass sie flirrend über dem Platz hing.
Annit wollte gerade einen Schluck aus ihrem Glas nehmen, als sie mitten in der Bewegung innehielt.
Der Bauer Janusch Nowak kam mit langsamen Schritten auf sie zu, ein verlegenes Lächeln auf den Lippen. Trotz der Hitze trug er einen dunklen Anzug mit rot-blau gestreifter Krawatte. Seine spärlichen Haare, die sonst kreuz und quer vom Kopf abstanden, waren sorgfältig nach hinten gekämmt.
Annit stand sofort auf und reichte ihm die Hand. „Schön, dass Sie uns besuchen“, begrüßte sie ihn freundlich und warf einen Blick zu Rocco, der den Bauern mit missmutiger Miene beobachtete.
Janusch Nowak knetete seine Hände und sah Rocco an. „Jetzt sagen Sie schon, dass ich ein dummer Esel bin, der nur hirnloses Zeug von sich gibt, ohne seinen Kopf einzuschalten.“
Rocco blickte ihm fest in die Augen. „Warum sollte ich, wenn Sie es selbst schon erkannt haben?“
Der Bauer schien verwirrt. „Dann sind Sie also nicht mehr sauer auf mich?“
Rocco warf den Kopf in den Nacken. „Sauer ist gar kein Ausdruck. Jede Zitrone würde Minderwertigkeitskomplexe kriegen, wenn sie wüsste, wie es in mir aussieht.“
Geknickt senkte Janusch Nowak den Blick. „Was soll ich denn noch machen? Soll ich auf die Knie fallen ...?“
„Na, überlegen Sie doch mal“, gab Rocco zurück, der es dem Bauern offensichtlich nicht so leicht machen wollte. „Es gibt da so ein kleines Wörtchen, das wahre Wunder bewirken kann.“
Der Bauer hatte sofort begriffen. „Entschuldigung? Aber genau deswegen bin ich ja da. Weil ich mich bei Ihnen allen entschuldigen will.“
Nun erhob sich auch Rocco und streckte dem Bauern die Hand hin. Dann deutete er mit dem Kopf auf dessen Anzug. „Haben Sie sich deswegen so in Schale geschmissen?“
Der Bauer grinste schief. „Ich weiß doch, was sich gehört. Außerdem wollte ich mir nachher gerne Ihre Vorstellung ansehen. Hab schon so viel Gutes davon gehört.“
Annit deutete auf ihre Armbanduhr. „Aber da sind Sie viel zu früh dran. Die Vorstellung beginnt erst in zwei Stunden.“
Rocco drückte den Bauern kurzerhand auf einen freien Campingstuhl. „Dann trinken Sie eben was mit uns. Und wenn Sie wollen, können Sie sich danach auch ein bisschen umsehen.“
Janusch Nowak strahlte wie ein kleiner Junge, der zum Geburtstag endlich das lang ersehnte Lastauto bekommen hatte. „Und ob ich will!“ Mit dankbarem Lächeln nahm er das Glas Limonade entgegen, das Annit ihm eingeschenkt hatte. „Gut, dass du so mutig gewesen bist heute Nacht. Ich jedenfalls hätte nicht den Mumm gehabt, so einem verbohrten Dickschädel wie mir gegenüberzutreten.“
Wenig später führte Annit ihn dann ein bisschen herum. „Und jetzt muss ich Sie leider allein lassen“, sagte sie nach dem Rundgang. „Ich
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