Silberstern Sternentänzers Sohn 01 - Der geheimnisvolle Hengst
wollen. Doch den traurigen Blick ihrer Eltern beim Abschied würde sie nie vergessen. Wenn wir morgen in Warschau sind, darf ich nicht vergessen, sie von dort gleich anzurufen. Damit sie wissen, dass wir gut ange kommen sind und sich keine Sorgen machen, nahm sich Annit vor, bevor ihr die Augen zufielen.
Eine seltsame Begegnung
Am späten Vormittag des nächsten Tages erreichten sie schließlich Warschau. Mit großen Augen schaute Annit aus dem Fenster, während Rocco den Wagen durch die Straßen lenkte. Dabei erzählte er, dass sich um den Namen dieser Stadt einige Geschichten rankten. „Einer Sage nach ist der Name der Stadt auf die ursprünglichen Landbesitzer Wars und Sawa zurückzuführen“, erklärte er. „Und eine andere Sage berichtet von einer Meerjungfrau. Sie soll in der Weichsel gelebt haben - der breite Fluss, den wir gleich überqueren. Sie hat die Stadt beschützt. Deshalb zeigt das Wappen der Stadt auch eine Nixe, eine nackte Frau mit Fischschwanz.“
Annit war beeindruckt von den ehrwürdigen alten Patrizierhäusern und den vielen Menschen, die sich auf der Straße tummelten. Hier wird es mir bestimmt nicht langweilig werden, freute sie sich.
„Wenn wir mal Zeit haben, zeige ich dir die Stadt“, bot Rocco an. „Aber jetzt müssen wir erst unser Quartier aufschlagen, damit wir so schnell wie möglich mit dem Proben anfangen können.“
Ein Freund von Rocco lebte in Warschau. Er hatte sich darum gekümmert, dass Rocco mit seiner Truppe auf einer großen Wiese außerhalb der Stadt sein Zirkuszelt aufstellen durfte. Rocco war ihm sehr dankbar dafür, da der ganze Behördenkram ein rotes Tuch für ihn war. „Lieber gehe ich mit nackten Füßen über ein Nagelbrett, als mich mit Bürohengsten herumzuschlagen. Die wedeln nur mit unzähligen Formularen herum, die man alle ausfüllen muss“, ließ er öfters verlauten.
Annit gefiel der große Platz sofort, der von nun an ihr neues Zuhause sein würde. Die riesige Wiese lag am Rand eines Fichtenwäldchens, auf der anderen Seite erstreckte sich ein weites Rapsfeld. Dahinter entdeckte sie einen großen Bauernhof.
„Hier kann man’s aushalten“, nickte Rocco, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen waren. „Ein richtig idyllisches Fleckchen Erde.“ Er runzelte die Stirn. „Hoffentlich ist es nicht zu ruhig hier. Schließlich brauchen wir auch Zuschauer, sonst können wir einpacken.“
Der Schwertschlucker José, Rosalias Mann, war zu ihnen getreten. Seine feuerroten schulterlangen Haare loderten in der Sonne. Meistens trug er weite Anzüge in Rot, Türkis oder Gelb mit schwarzen Streifen. Er war noch größer als Rocco und wirkte mit seinem musku lösen Körper und dem kantigen Gesicht ein bisschen Furcht einflößend. Doch Annit wusste, dass José keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.
Jetzt legte José seine Hand auf Roccos Schulter. „Wir kriegen den Laden schon voll“, sagte er zuversichtlich. „Wenn die Leute in Warschau erst mal spitzkriegen, dass der weltbeste Zirkus sich vor ihren Toren niedergelassen hat, stehen sie bei uns Schlange.“ Er nickte Annit lächelnd zu. „Meinst du nicht auch?“
Annit erwiderte sein Lächeln. „Klar“, bekräftigte sie. „Zusammen schaffen wir das bestimmt.“ Sie mochte José, der immer zuversichtlich war - selbst wenn es größere Probleme gab. Annit hatte den Eindruck, dass er sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen ließ. Im Gegensatz zu Rocco, der schon mal laut werden konnte, wenn etwas nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Aber er trägt ja schließlich auch die ganze Verantwortung, dachte Annit.
Rocco klatschte in die Hände und lachte. Offensichtlich hatten Annits und Josés Zuversicht seine anfänglichen Bedenken zerstreut. „Dann lasst uns anfangen, bevor das Wetter uns noch einen Strich durch die Rechnung macht.“ Er deutete zum Himmel, an dem ein paar dunkle Wolken aufzogen.
Annit kümmerte sich zunächst um Silberstern, während Rocco den Aufbau des großen rot-weiß gestreiften Zeltes überwachte. Sein Freund aus Warschau hatte einen ganzen Trupp Leute dafür organisiert. Und ebenso hatte er organisiert, dass überall Plakate aufgehängt und viele Prospekte verteilt wurden, um die Zirkusshow anzukündigen. Schließlich mussten die Leute ja rechtzeitig informiert werden.
Der Termin für die Premiere war gar nicht mehr so weit weg. Daher mussten sie sobald wie möglich mit dem
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