Silberstern Sternentaenzers Sohn 03- Reise in die Vergangenheit
den Eindruck, als würde Silberstern den Kopf langsam hin und her bewegen. Für einen Moment fühlte sie sich erleichtert. „Aber kann ich tatsächlich sicher sein? Vielleicht hat der Traum doch etwas mit meinen Eltern zu tun“, murmelte sie dann. Sie wollte den Hengst gerade noch einmal fragen, als sich die Stalltür quietschend öffnete.
„Hier steckst du also“, plapperte Mannito gut gelaunt drauflos. „Ich hab dich schon gesucht.“ Er kam näher. „Alles in Ordnung mit dir?“, vergewisserte er sich dann und sah sie ein bisschen besorgt an. „Du siehst aus, als ob dir ein Gespenst begegnet wäre.“
Annit zuckte leicht zusammen und versuchte, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern. „Klar, alles in Ordnung“, erwiderte sie. „Ich bin nur ein bisschen zu früh aufgewacht.“ Und das stimmte ja eigentlich auch.
Zum Glück wandte sich Mannito nun zu Ranja um und bemerkte so nicht, dass Annit errötete. Auch konnte sie nur hoffen, dass Mannito nicht weiter nachfragte. Es hätte ihr nämlich ganz und gar nicht gefallen, den Freund anlügen zu müssen. Denn sie wollte ihm auf keinen Fall das Gefühl geben, dass sie ihm nicht vertraute. Doch Silbersterns magische Gabe musste vorerst ihr Geheimnis bleiben. Vielleicht erzähle ich es Mannito ja eines Tages, dachte sie. Aber jetzt noch nicht. Jetzt muss ich erst herausfinden, ob dieser Traum etwas mit meinen Eltern zu tun hat.
Nach dem Frühstück ging Mannito in den großen Gemüsegarten hinter dem Kloster. Er hatte den beiden Nonnen, die in diesem Jahr für die Gartenarbeit zuständig waren, versprochen, ihnen zu helfen.
Im Kloster war es so geregelt, dass jede Nonne für ein Jahr eine bestimmte Aufgabe zugeteilt bekam. Die eine kochte, manche hielten die Kirche und das Kloster sauber, wieder andere kümmerten sich um den Garten oder erledigten die Büroarbeit. „So lernen die Nonnen im Laufe der Zeit jede einzelne Tätigkeit kennen“, hatte die Igoumeni ihnen erklärt.
Am meisten faszinierte Annit jedoch die Arbeit in der Bibliothek im zweiten Stock. Deshalb ging sie nach dem Frühstück dorthin. Der riesige Raum stand voller Regale, die vollgepfropft waren mit Büchern. Zwei Nonnen beschäftigten sich damit, ein altes Werk in die neugriechische Sprache zu übersetzen.
Einige der Bücher, die in den Regalen standen, erinnerten Annit an die Bibel von ihren Eltern. Vielleicht haben meine Eltern ja auch mal hier zusammen an dem Tisch gesessen und in der Bibel gelesen?, dachte sie wehmütig. Sie schloss einen Moment lang die Augen, um sich das Bild besser vorstellen zu können. Aber ich weiß ja nicht mal, wie meine Eltern überhaupt aussehen. Sie stieß einen Seufzer aus und verließ leise die Bibliothek, um die Nonnen nicht bei ihrer Arbeit zu stören.
Sie fühlte sich plötzlich allein - so, als gäbe es niemanden auf der ganzen Welt, der sie richtig lieb hatte. Aber ich hab doch Silberstern. Und Mannito und Carolin. Und meine Adoptiveltern, versuchte sie sich zu trösten. Dennoch - ich muss jetzt endlich wissen, woher ich eigentlich komme.
Immer noch in Gedanken versunken trat Annit hinaus in den Klostergarten. Genau in diesem Moment kam die Igoumeni aus der kleinen Kirche.
Kurz entschlossen lief Annit zu ihr hin. Dies war eine Chance, die ältere Nonne noch einmal nach ihren Eltern zu fragen. Beim Frühstück war Annit wieder aufgefallen, dass die Igoumeni sie mehrmals beobachtet hatte. Bestimmt weiß sie mehr, als sie zugibt, dachte sie.
Bevor Annit jedoch etwas sagen konnte, erhob die Äbtissin das Wort. „Und, gefällt es dir hier bei uns?“, erkundigte sie sich.
Die Igoumeni ahnt, dass ich eigentlich etwas anderes von ihr will, schoss es Annit durch den Kopf. Doch sie war fest entschlossen, sich nicht von ihrem Vorsatz ab bringen zu lassen. „Ja, es gefällt mir hier sehr gut“, ant wortete sie. „Aber eigentlich bin ich nicht hier, weil es hier so schön ist. Ich bin hier, weil ich meine leiblichen Eltern suche.“ Annit fasste all ihren Mut zusammen, um weiterzusprechen. Denn die strenge Nonne flößte ihr immer noch ein bisschen Furcht ein. „Sie müssen sich eine Zeit lang hier aufgehalten haben. Sind Sie sicher, dass Sie sie nicht kennen?“
Die Äbtissin sah Annit mit ernsten Augen an. „Ach, Annit. Es gibt manchmal Dinge Im Leben, an die man nicht mehr rühren sollte.“
Annit zuckte zusammen. Was bedeutet das? Weiß sie doch etwas über meine Eltern?
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