Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
übersetzte ihre Frage.
Abd al-Umar blickte Annit mit seinen tief dunklen, geheimnisvollen Augen an, dann erwiderte er etwas.
„Und?“
„Nur wenn die Besitzerin eines magischen Pferdes auch bereit ist, kann und darf er etwas über die Legende erzählen“, übersetzte der Stammesfürst. „Vorher ist es ihm nicht möglich.“
„Aber ich bin doch bereit. Ich bin so was von bereit, bereiter geht’s gar nicht!“, protestierte Annit.
Obwohl der Geschichtenerzähler ihre Sprache nicht verstand, hatte er wohl verstanden, was sie wollte. Denn er schüttelte nur den Kopf. Gleich darauf erhob er sich und verschwand wie ein schwarzer Schatten durch die Nacht.
Mit großen Augen blickte Annit den Stammesfürsten an. „Wer verbietet ihm denn, mir von dem Geheimnis zu erzählen? Warum kann er es mir nicht einfach sagen? Ich versteh das alles nicht!“
Der Stammesfürst zuckte nur mit der Schulter. „Ich kann es dir nicht erklären, Annit. Doch es gibt eherne Gesetze, denen Geschichtenerzähler folgen müssen.“
Was für eine Prüfung soll das denn sein? Was muss ich bestehen? Was macht mich reif genug, die ganze Wahrheit zu erfahren? Annit blickte in den Schein des Feuers. Prüfung? Ich geh doch nicht in die Schule! Doch dann hatte sie eine
Idee. Moment mal! Ob damit vielleicht das Pferderennen gemeint ist? Natürlich! Das muss es sein, schoss es ihr durch den Kopf. Er denkt, ich hab keine Ahnung von Pferden. Aber wenn ich bei dem Rennen zeige, dass ich reiten kann wie ein Beduine, dass ich etwas von Pferden verstehe ... Dann vielleicht, dann ...
Sie zog ihre Hände aus dem Boden und klopfte den Sand von ihren Handflächen. Er kann nur dieses Rennen gemeint haben. Eine andere Prüfung muss ich in nächster Zeit nicht bestehen. Das ist die einzige Erklärung, die es gibt. Ich muss bei diesem Rennen zeigen, dass ich es draufhabe. Vielleicht gelingt es mir ja, als beste Reiterin des Stammes abzuschneiden, dann merkt er, dass ich reif für die Wahrheit bin.
Der Albtraum kommt zurück
Als Annit am nächsten Morgen aufwachte, eilte sie sofort zu Silberstern und sattelte und zäumte ihn. Der schwarze Hengst hatte sich seit dem Vorfall mit der Wurzel wieder gut erholt und war frisch und munter wie eh und je. Zärtlich tätschelte Annit sein weiches Fell, als sie ihn zum Trainingsplatz führte.
Bis auf eine längere Mittagspause trainierte sie den ganzen Tag über mit Silberstern für das bevorstehende Rennen. Dabei schwirrten immer wieder die Worte des Geschichtenerzählers durch ihren Kopf. „Du musst eine Prüfung bestehen!“
Auch Habib absolvierte mit seinem Araber ein langes Training, würdigte sie allerdings keines Blickes. Und nicht eine hämische Bemerkung entfuhr seinen Lippen.
„Vor dem haben wir jetzt wohl Ruhe“, freute sich Annit, als Habib schließlich nach dem Training ohne jeg lichen Kommentar einfach verschwand. Sanft strich sie über Silbersterns Fell.
An diesem Abend fiel Annit müde wie ein Stein auf ihre Schlafmatratze. Ihr Bauch war voll bis obenhin. Denn nach dem intensiven Training war sie hungrig gewesen und hatte drei von Alishas Pfannkuchen verspeist. Es waren die leckersten Pfannkuchen gewesen, die sie jemals gegessen hatte, und Alisha hatte sich über ihr Lob gefreut wie ein kleines Kind. Eigentlich wurden an diesem Abend wieder Geschichten erzählt, doch selbst dafür war Annit viel zu erschöpft. Sie schlief sofort ein, und war kurz darauf in einem seltsamen Traum gefangen.
Ein prächtiger Rappe mit einem hellen Stern auf der Stirn trabte über ein Feld. Er war herrlich anzusehen, und alles schien ganz friedlich. Doch plötzlich blieb er stehen. Ganz ohne Vorwarnung stieg er und keilte wie wild aus. Das Pferd erschien jetzt völlig aggressiv. Es drehte sich so schnell um sich selbst, dass es nur schemenhaft zu erkennen war. Aber dann, auf einmal konnte Annit seinen Kopf ganz deutlich sehen. Seine Augen, die eigentlich keine waren, sondern tiefe, dunkle L öcher, aus denen züngelnde Feuerflammen aufstiegen. Alles wirkte mit einem Male düster und bedrohlich. Der Feuerschein d er Flammen flackerte heller als tausend Sonnen und formte zu einem riesigen Feuerkreis. Annit wollte schreien, doch sie brachte keinen Ton über ihre Lippen. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts eine Gestalt auf. Sie trug eine Kapuze, die ihr Gesicht verdeckte. Die Gestalt hob ihre Hand und legte sie auf den Hals des Pferdes
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