Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
Geschichten. Und jedes Mal, wenn sie der Blick des alten Nomaden zufällig streifte, spürte sie wieder dieses merkwürdige Gefühl, das sie bereits bei der ersten Begegnung mit ihm gehabt hatte. Ganz so, als ob es irgendeine Verbindung geben würde zwischen ihr und diesem geheimnisvollen Geschichtenerzähler.
Eines Abends jedoch kam Annit bei Einbruch der Dunkelheit zur Feuerstelle, aber sie traf dort niemand an. Die Flammen des Feuers züngelten hoch in die Luft, doch weder die Beduinen noch der Geschichtenerzähler waren da. Vielleicht bin ich zu früh dran? Annit hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, wie sie es jeden Abend tat. Sie blickte zum Himmel, der dunkel und sternenklar war wie beinahe jede Nacht. Seltsam! Wo sind denn die anderen? Fällt die Erzählstunde heute aus und ich weiß nichts savon? Mannito kommt auch nicht?!
Auf einmal bemerkte sie in der Ferne zwei Gestalten, die auf sie zumarschierten. Eine ganz in Weiß gekleidet, die andere ganz in Schwarz. Endlich! Wenigstens der Stammesfürst und der Geschichtenerzähler kommen schon mal, dachte sie beruhigt.
Die beiden Männer setzten sich in kleinem Abstand zu ihr im Schneidersitz ans Feuer. Keiner sprach ein Wort, beide beobachteten einfach nur das Spiel der Flammen und taten, als ob sie gar nicht da wäre.
Was soll denn das heute werden?, dachte Annit irritiert. Wo bleiben die anderen? Ist was passiert? Doch sie wagte es nicht, zu fragen. Hm ... vielleicht sollte ich wieder gehen? Vielleicht wurde der Geschichtenabend abgeblasen und ich hab’s nicht mitbekommen?
Sie wollte gerade aufstehen, als der Stammesfürst seinen Blick auf sie richtete. „Bleib!“, sagte er mit seiner kräftigen Stimme.
Es klang wie ein Befehl, und Annit ließ sich etwas eingeschüchtert wieder zurück auf den Boden plumpsen.
„Du kennst unseren Geschichtenerzähler ja bereits. Er heißt Abd al-Umar.“
Abd al-Umar, der bis zu den Augen verhüllt war, deutete eine leichte Verbeugung in ihre Richtung an.
„Hallo“, murmelte Annit. „Äh ... wann geht es denn los? Wann kommen denn die anderen?“
Das Dorfoberhaupt musterte sie lange. „Niemand wird kommen. Dieser Abend ist nur für dich, Mädchen“, sagte er dann.
Wie? Wieso das denn? Völlig verwundert starrte Annit die beiden Männer an.
„Mein Freund Abd al-Umar ist ein sehr, sehr weiser Mann. Dank seines unerschöpflichen Wissens können sehr viele Geschichten und Erzählungen überliefert werden. Er kennt die Geschichte einer jeden Wüstenblume, eines jeden Steins, einer jeder Wolke.“
„Äh ...ja...“
„Auch kennt er zahlreiche Sagen und Legenden.“ Der Stammesfürst machte eine Pause. „Und er weiß um die Legende von unseren magischen Pferden, von Falak und Silberstern.“
Annit erstarrte schlagartig und starrte den Mann mit offenem Mund an. Über ihre Arme kroch Gänsehaut. Mit allem hatte sie gerechnet, nur damit nicht.
„Er hat meine Falak auch kennengelernt“, erklärte der Beduine weiter. „Und er weiß, dass es neben diesen beiden Pferden noch viele andere magische Pferde gibt. E r kennt die Prophezeiung.“
Annit nickte gebannt und erinnerte sich an den M oment, als der Stammesfürst ein kleines silbernes Kästchen aufgesperrt und das Pergament mit der Prophe zeiung der magischen Pferde entrollt hatte. Die uralte Prophezeiung, die ihrer Freundin Carolin in Deutschland damals verraten hatte, welche magische Gabe ihr Pferd Sternentänzer besaß.
Sie hörte seine Worte: „In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren. Naytukskie Kukatos, was in der Indianersprache „Der Stern" bedeutet, ist schön wie der junge Morgen, stark wie ein Bär, schnell wie der Wind und schlau wie ein Fuchs. Er soll über eine außergewöhnliche Gabe
verfügen. Er kann in die Zukunft blicken. Schnell spricht sich die Kunde herum, und jeder ist bestrebt, dieses wunderschöne
Pferd zu besitzen. Doch Unzählige sind an ihm gescheitert. Denn seine magischen Kräfte kann nur derjenige nutzen, der sein Vertrauen gewinnt. Dieses wunderschöne Pferd wird in die Welt ziehen und sich mehren. Es wird viele seiner Art geben, in allen erdenklichen Rassen, schön wie der junge Morgen, stark wie ein Bär, schnell wie der Wind und schlau wie ein Fuchs und mit
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