Silence
Gesetzesbrecherin noch mehr zu einer Kuriosität machte. Trotzdem konnte ich die Gänsehaut, die sich auf meinem Körper ausbreitete, nicht abschütteln. Ich beschleunigte meine Schritte etwas und schärfte meine neue Gabe noch einmal.
Gerade als ich mir eingestand, dass ich mich geirrt hatte, prallte ich gegen etwas Weiches, riss es mit mir zu Boden und landete in einem Wirrwarr aus Gliedern auf Giovanni. Keuchend starrte ich in seine dunklen Augen. Ich musste einen lächerlichen Eindruck machen, denn Giovanni grinste.
»Hallo. Schön dich auffangen zu dürfen.«
Peinlich berührt zupfte ich ein paar bunte Ahornblätter von meinen Sachen und versuchte, mich aufzurappeln.
»Tut … tut mir leid. Ich dachte nur, da ist jemand hinter mir.«
Giovanni griff nach meiner Hand, die ich hinhielt, um ihm aufzuhelfen. Er blickte sich um. »Hmmh, niemand zu sehen.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte ich und putzte noch immer an meiner Kleidung herum, um vor Giovanni verbergen zu können, wie unangenehm mir dieser Unfall war.
»Vielleicht sollte ich dich nach Hause begleiten. Nur zur Sicherheit.« Er lächelte und musterte mich auf eine Art, die mir Schauder durch den Körper jagte.
Mit einer Hand fuhr er sich durch sein rabenschwarzes Haar, das im Licht der Laterne unter der wir standen, glänzte wie das Gefieder eines Raben. Giovanni verlor auch aus der Nähe betrachtet nichts von seinem guten Aussehen. Lange schwarze Wimpern umrahmten ein mandelförmiges Augenpaar. Seine Lippen waren vielleicht etwas zu voll und seine Nase ein klein wenig zu spitz, aber wer achtet schon auf Kleinigkeiten? Er hob meine Tasche auf, die mir von der Schulter gerutscht war, und hängte sie sich um.
»Du musst das nicht machen«, sagte ich bestimmt.
»Es wäre mir durchaus eine Ehre, eine so hübsche junge Dame nach Hause zu begleiten«, antwortete er, legte mir einen Arm um die Taille und schob mich weiter in die Richtung, in der ich gerade unterwegs gewesen war.
Ich nickte nur stumm und atmete tief den würzigen Duft von Giovannis Jacke ein. Hin und wieder warf ich ihm einen verstohlenen Blick von der Seite zu, die meiste Zeit aber starrte ich angestrengt vor meine Füße, um noch mehr Peinlichkeiten zu vermeiden.
»Was machst du eigentlich um diese Zeit noch alleine hier draußen? Kein Wunder, dass deine Fantasie mit dir durchgegangen ist«, riss Giovanni mich aus meinen stillen Flüchen. Etwas Belustigtes lag in seiner Stimme.
Ich musterte ihn einen Augenblick. Kleine Fältchen hatten sich um seine Augen gebildet und um seinen Mund zuckten die Muskeln, als würde er mühsam ein Lachen unterdrücken.
»Ich war in der Bibliothek. Und normalerweise gibt es in Silence nichts, wovor man Angst haben müsste«, verteidigte ich mich bissig.
»Du hattest also Angst?«
»Nein, hatte ich nicht. Da waren nur Schritte. Und als ich mich umgedreht habe, war da niemand«, entgegnete ich schroffer. Hatte ich mir das wirklich nur eingebildet?
»Also hattest du doch Angst?« Giovanni grinste.
»Ganz sicher nicht.«
»Zumindest hätte das deinen verstörten Gesichtsausdruck erklärt.«
»Ich renne nicht jeden Tag in einen nervigen Italiener hinein. Das sollte meinen Gesichtsausdruck entschuldigen«, gab ich wütend zurück.
»Und ich werde nicht jeden Tag von einem so süßen Mädchen auf die Straße gelegt.« Giovanni grinste und seine Augen ruhten für Sekunden auf meinem Mund.
Ich wollte protestieren, stattdessen senkte ich den Blick auf die Straße, bevor er sehen konnte, wie mein Gesicht die Farbe eines Ferraris annahm – leuchtend rot.
»Wir sind da«, brachte ich heiser hervor.
Vor uns ragte das große herrschaftliche Haus in seiner ganzen überwältigenden Pracht auf. Die Säulen, welche die doppelte Eichenholztür einrahmten, wirkten wie zwei riesige Wächter, die mein Zuhause bewachten. Sie stützten eine Pyramide, die das Vordach über der protzigen Tür bildete. Die weiße Fassade strahlte in der Dunkelheit, erhellt von zwei Scheinwerfern, die automatisch aufleuchteten, sobald jemand unterhalb der Auffahrt durch das hohe schmiedeeiserne Tor trat. In Silence gab es nur zwei so große Häuser – dieses und das von Michelles Familie.
Giovanni blieb kurz stehen und musterte mein Zuhause. »Hier wohnst du?«
Das klang fast ein wenig abfällig und ich konnte es sogar verstehen. Mir war dieser Protzbau auch peinlich.
»Ja. Danke fürs Bringen.« Ich griff nach meiner Umhängetasche, die immer noch an Giovannis Seite hing. Er
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