Silence
einschätzen zu können, muss ich wissen, wer deine Eltern sind.«
»Aber ich kenne meine Eltern nicht«, antwortete ich verwundert. Ich dachte, Ermano hatte ihm schon gesagt, dass ich adoptiert wurde. Giovanni strich mir mit den Fingern über die nackte Haut meines Oberarms. Eine sanfte, vielleicht unbewusste Geste, die mich sofort beruhigte.
Isabella kam mit einem Tablett und Gläsern in die Bibliothek, stellte alles auf den niedrigen Tisch zwischen den beiden Sofas und verließ uns wieder.
»Hmm«, machte Vincenzo und nippte an einem Glas mit – wie ich vermutete - Blut. Interessiert schnupperte ich und der kupfrige Geruch, der den Raum langsam füllte, bestätigte meine Vermutung.
»Ihr könnt Blut auch so trinken, ohne jemanden zu beißen?«, fragte ich erstaunt und warf Giovanni einen Blick zu, der sagte: Ich bin enttäuscht, dass du in fremde Hälse beißt, wenn das nicht sein muss.
»Es ist wie Schokolade essen«, grinste Ermano und tat einen kräftigen Schluck aus seinem Glas. »Es ist unglaublich lecker, nährt uns aber nicht.«
Der köstliche Duft ließ meinen Magen wieder laut aufknurren. »Stillt es meinen Hunger?«, entfuhr es mir, ohne dass ich es hätte aufhalten können.
»Nein. Du würdest allenfalls die Szene mit der Toilette im Motel wiederholen dürfen.« Ermano grinste.
Vinc enzo lachte plötzlich laut auf.
»Warum lacht er?«, wollte ich wissen und ärgerte mich, weil mir anscheinend etwas Wichtiges entgangen war.
»Ermano hat ihm gezeigt, was er mit dem Motel meinte«, grinste Giovanni, hauchte mir aber besänftigend einen Kuss auf die Stirn.
»Sehr witzig. Wirklich.« Mein Blick durchbohrte Ermano wie ein Giftpfeil – leider wirkungslos.
»Warum macht mich der Geruch von Blut dann so verrückt?«
»Das ist das Raubtier in dir. Wie bei einem Hai, den das Blut anzieht, weist es dir den Weg zu deiner Beute.«
Vincenzo leerte sein Glas und stellte es auf dem Tisch ab. Fasziniert betrachtete ich die dunkelroten Reste an den Wänden des Glases. Mein Magen knurrte.
Ich verfluchte ihn dafür, dass er mir dieses Zeug vor die Nase stellte und dass auch Giovanni und Ermano keine Rücksicht auf meine Gefühle nahmen. Mein Blick fokussierte sich auf den Rest in der Glaskanne. Köstlich dunkelrot glänzte es, fast schwarz. Ich musste mich zwingen, meinen Blick von der Anziehungskraft des Blutes zu lösen. Heftig schluckend riss ich meine Augen von dem Blut und starrte wütend auf Vincenzo. Dieser hob die Augenbrauen, als wollte er sagen: Stimmt etwas nicht? Obwohl er genau wusste, was nicht stimmte.
»Du fragst dich, warum wir dich foltern? Du musst dich an den Geruch von Blut gewöhnen. Du willst mit Vampiren leben. Du möchtest doch nicht irgendwann über einen von uns herfallen, wenn er von der Jagd nach Hause kommt«, sagte Vincenzo jetzt ernst. »Außerdem lebst du in meinem Haus und ich hänge an meinem Leben.«
Diese Erklärung reichte aus, um mir den Kampf gegen meinen Hunger zu erleichtern. Der Kampf gegen etwas fällt immer leichter, wenn man einen wichtigen Grund ha t zu siegen. Ich nickte, um Vincenzo zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte. Und ich war schockiert, dass ein mächtiger Vampir wie er, angst vor mir hatte. War das Monster in mir wirklich so gefährlich? Dieser Gedanke jagte mir Schauer durch den ganzen Körper.
»Also weißt du gar nichts über deine Eltern?«
Ich zuckte mit den Schultern. Ein wenig wusste ich schon, aber mir entzog sich, was daran so wichtig sein sollte, wer meine Eltern waren. Daher antwortete ich nicht. Wie sich herausstellte, hätte ich mir die Mühe ersparen können.
»Ah, die Bellinis. Das ist eine interessante Information. Also eine echte Principessa.«
Vincenzo war sichtlich erfreut, denn seine Augen blitzten auf und musterten mich mit gesteigertem Interesse. »Tut mir leid, ich wollte nicht in deinen Kopf eindringen, aber manchmal überwältigt mich die Neugier. Aber ich schwöre, ich nutze meine Fähigkeiten nur noch selten. Die Gedanken von anderen können manchmal ermüdend langweilig sein. Die meisten Köpfe können mir nicht mehr viel bieten, was ich nicht in irgendeiner Weise schon tausendfach gehört hätte.«
Wenn Vinc enzo bis dahin nur ein leichtes Frösteln in mir ausgelöst hatte, bekam ich jetzt Schüttelfrost. Mir wurde mehr und mehr klar, dass mir der Mann unheimlich war. Und doch hatte er etwas an sich, das mich fast magisch in seinen Bann zog.
»Du wolltest mir mehr über die Wandlung erzählen«, sagte ich
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