Silence
Eltern.
Mein Vater klopfte von außen gegen die Zimmertür. »Lass uns reden. Ich möchte nicht, dass wir uns so trennen.«
Was hatte er erwartet? Dass ich sagen würde; schön, dass ihr mich schon wieder über ein wichtiges Detail meines Lebens im Dunkeln gelassen habt. Vergessen wir es und machen weiter, als wäre nichts geschehen.
Das würde sicher nicht passieren. Wenn man seinen eigenen Eltern nicht vertrauen konnte, wem dann? Und ein wichtiges Detail wusste ich noch immer nicht. Was ist ein Gestaltwandler?
So wie meine Mutter reagiert hatte, als mein Vater mich im Arm hielt, musste ich ein gefährliches Monster sein. Sperrte man uns deshalb hinter hohe Mauern?
»Lass mich dir helfen. Wir könnten deine Tasche gemeinsam packen und darüber reden.« Die Stimme meines Vaters war tränenerstickt.
»Ihr könnt mich wohl nicht schnell genug loswerden«, schrie ich der geschlossenen Tür entgegen. Ich schlang meine Pferdedecke um meinen Körper, weil mir kalt vor Schwäche war.
»Das ist es nicht«, kam es zurück. »Wenn du hier bleibst, bist du eine Gefahr für dich und deine Umwelt.«
Mit Schwung sprang ich von meinem Bett auf und entriegelte die Tür. »Ich bin also ein gefährliches Monster und gehöre weggesperrt«, spie ich meinem Vater en tgegen.
Mein Vater senkte den Blick. Er lehnte im Türrahmen, sein Gesicht eine Maske der Verzweiflung. »Es tut mir so leid.«
Das genügte mir, um zu wissen, dass ich recht hatte. Mit einem Knall warf ich die Tür wieder zu und ließ mich dagegen sinken. Ein Kloß drückte schmerzhaft auf meine Kehle. Ich wollte weinen, wollte schreien, wollte meiner Verzweiflung irgendwie Luft machen, aber ich war zu schwach. Also saß ich nur da und starrte auf Nichts.
Ein leises Klopfen an der Balkontür ließ mich aufschrecken. Da es draußen schon dunkel war, konnte ich nichts sehen. Ich kämpfte mich auf und öffnete die Tür.
»Was machst du hier? Bist du verrückt geworden?«, schimpfte ich leise.
Giovanni grinste breit. »Deine Mutter hat vor ein paar Minuten das Haus verlassen. Willst du mich nicht rein lassen?«
Ich lauschte in Richtung Zimmertür. »Warte.«
Schnell stürzte ich aus meinem Zimmer, warf einen Blick in den Flur. Leer. Mit einer Hand winkte ich Giovanni herein, mit der anderen verriegelte ich meine Tür.
Giovanni machte einen Schritt in mein Zimmer und ließ sich neben mich auf das Bett fallen.
»Bist du gekommen, um mir zu sagen, dass ihr morgen fahrt?«, fragte ich schnippisch.
Giovanni setzte sich wieder auf und zog eine meiner Hände an seine Lippen. »Ja. Es tut mir leid.«
Komisch. Irgendwie tat es jedem immer leid. Warum verletzten sie mich dann alle erst, wenn es ihnen danach leid tat?
»Dafür hättest du nicht kommen müssen. Ermano hat es mir schon gesagt.« Ich entzog ihm meine Hand wieder und setzte mich, so dass ich ihn besser sehen konnte. »Also, warum bist du hier?«
Ich war wütend auf ihn, weil er mir mit seinem Besuch den Abschied noch schwerer machte. Und ich war erleichtert, weil ich nicht alleine sein musste. Doch die Wut überwog, wie sie in den letzten Tagen immer überwogen hatte. Deshalb kam diese Frage schärfer heraus als b eabsichtigt.
»Hab ich was falsch gemacht?«, wollte Giovanni wissen. »Hätte ich dich vielleicht eben nicht retten sollen? Ich hatte das Gefühl, es wäre nötig, dich runter zu holen, bevor du was wirklich Dummes machst.« Er legte seinen Kopf schief und eine pechschwarze Strähne rutschte ihm in die Augen.
»Nein. Es liegt nicht an dir. An meinen Eltern. An allen Vieren. Steckst du andauernd in meinem Kopf?« Mit dem Zeigefinger strich ich Giovanni die Haarsträhne aus dem Gesicht.
Giovanni packte meine Hand und schmiegte sein Gesicht in meine Handfläche. Ein Kribbeln durchflutete meinen Körper.
»Alle vier?«
»Oh ja. Wusstest du, dass meine richtigen Eltern wahrscheinlich älter sind als du?« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Nein. Darüber habe ich nicht nachgedacht. Aber jetzt, wo du es sagst. Also haben deine Eltern mit dir gesprochen?«
»Na ja, sie haben es versucht. Die Gesetze verbieten ihnen wohl, mich richtig aufzuklären.«
Giovanni verschränkte seine Finger mit meinen. »Deswegen bin ich gekommen. Ich wollte es dir sagen, bevor wir verschwinden. Ich konnte es nicht ertragen, was sie mit dir machen. Dich so unwissend zu lassen. Das muss ein Albtraum sein. Für mich war es ein Albtraum, als ich als Vampir wieder auferstanden bin.«
Meine freie Hand
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