Silence
nicht, ob es richtig war, es zuzulassen. Also nahm ich all meine Kraft zusammen und entzog mich ihm.
Giovanni knurrte, legte mir eine Hand in den Nacken und drückte mein Gesicht wieder näher zu seinem.
»Ich weiß, du hast angst. Du musst dich nicht fürchten. Ich werde dir nicht wehtun.«
»Ich habe keine Angst.«
»Also? Machen wir weiter, wo du uns gerade so unfein unterbrochen hast, oder sagst du mir, wo dein Rucksack ist?«
Zielstrebig ging ich auf meinen Schrank zu, zog meine Reisetasche aus einem der unteren Fächer und reichte sie an Giovanni weiter. »Zufrieden?«
»Nein. Du enttäuschst mich.«
Giovanni zog mich an seinen Körper und küsste mich. Seine Lippen strichen sanft über meine. Es war eine stumme Frage, ein Abwarten, ob ich bereit wäre. Als ich keine Anstalten machte, mich zu wehren, legte er seine Lippen auf meine. Seine Zunge strich über meine Unterlippe. Mein Mund öffnete sich ohne mein Zutun und ließ Giovanni ein.
Ich hatte gehofft, wir machen weiter, wo wir aufgehört haben, flüsterte er sanft in meinen Kopf.
Meine Knie begannen zu zittern und ich musste mich von Giovanni befreien, sonst wäre ich unweigerlich in Ohnmacht gefallen. Die Intensität dieses Kusses war atemberaubend. Giovanni küsste mich mit einer Verzweiflung, die mich frösteln ließ.
Eine Weile standen wir da. Mein Kopf ruhte auf Giovannis Brust. Giovanni streichelte mit einer Hand über meinen Rücken und in meinem Kopf hallte sein »cara mia«. Abrupt riss er sich von mir los, schnappte sich meine Reisetasche und begann, wahllos Hosen, Pullover und andere Sachen aus meinem Schrank zu ziehen und in der Tasche zu verstauen.
»Ich werde dir Venedig zeigen«, sagte er, während er in mein Bad marschierte.
Ich folgte ihm etwas verwirrt. »Venedig?«
»Ja. Dort bin ich aufgewachsen.«
»Aber … weißt du, wie teuer so ein Flug ist?«
Es hieß zwar immer, Vampire wären reich, aber das schien nicht auf meine zuzutreffen. Diese lebten in einer abbruchreifen Hütte mitten im Wald. Giovanni lachte überschwänglich, ließ die Reisetasche auf den Fliesenboden fallen und zog mich an seine Brust – schon wieder.
»Du machst dir Gedanken um Geld? Wir leben vielleicht wie die Landstreicher, aber das tun wir nur, wenn uns mal nach Luftveränderung ist. So ein ewiges Leben wird schnell lästig. Glaub mir, um Geld musst du dir keine Sorgen machen. In drei Jahrhunderten sammelt sich eine Menge an.«
Mein Mund klappte auf und ich sah Giovanni zweifelnd an. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man reich sein konnte und dann freiwillig so lebte.
Giovanni küsste mich auf die Nase und wandte sich meinen Toilettenartikeln zu, die in unüberblickbarer Anzahl vor ihm auf einem Regal thronten, welches vom Boden bis zur Decke meines Badezimmers eine gesamte Wand bedeckte. Ein unüberschaubares Durcheinander an Fläschchen, Dosen und Näpfchen in einem Farbrausch, der jeden Maler begeistert hätte.
»Das brauchen wir doch nicht alles mitnehmen?«, fragte er zweifelnd.
Ich lachte. »Nein. Das ist nur Teil meiner Sammelleidenschaft. Die meisten Sachen habe ich nie benutzt.«
Giovanni hielt mir die Reisetasche hin, damit ich einpacken konnte, was ich unbedingt brauchte. Noch erstaunter blickte er mich an, als ich mich mit Zahnputzbecher, Zahnbürste, Shampoo und etwas Deo zufrieden gab.
»Mehr nicht? Also wenn man das hier sieht, dann erwartet man nicht, dass du nur so wenig für notwendig hältst.«
Grinsend hielt ich ihm meine abgeknabberten Fingernägel unter die Nase. »Du magst es vielleicht nicht glauben, aber die Zeiten, als ich noch auf Äußerlichkeiten geachtet habe, sind lange her.«
»Und das von einem Mädchen, das gerade mal siebzehn ist«, lachte Giovanni ungläubig.
Zurück in meinem Zimmer legte ich noch James, das Foto von Kate und mir und unser Tagebuch in die Tasche. Aus einem Fach in meinem Schreibtisch holte ich meinen Reisepass und mein Sparbuch mit den Ersparnissen für das College. Ein Collegebesuch wäre jetzt wahrscheinlich hinfällig. Vielleicht in ein paar Jahren oder Jahrhunderten, sollte ich die Wandlung in was auch i mmer überleben. Darüber wollte ich aber jetzt nicht nachdenken. Alles, was zählte, war, ich war zusammen mit Giovanni und Ermano und musste nicht in dieses Internat. Für den Moment war das alles, was ich brauchte, um glücklich zu sein.
Mariana Decke rollte ich zu einer Rolle zusammen und legte sie ganz oben auf, dann ließ ich den Blick ein letztes Mal durch mein Zimmer
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