Silence
fünfzehn Zentimeter größeren Mann auf die Schultern.
»Ist das die Signorina in Not?«, fragte der Herr über Ermanos Schulter hinweg, befreite ihn aus seiner Umarmung und kam mit weit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
Gerade hatte ich noch bedauert, dass es solche Szenen in meinem Leben wohl nicht mehr geben würde, jetzt hoffte ich nur, der Fremde würde es mir ersparen, mich auch zu küssen. Mir waren solche Zuneigungsbekundungen von völlig Fremden schon immer unangenehm. Warum bitteschön mussten sich zwei Menschen, die sich noch nie im Leben gesehen hatten, so nahe kommen? Da ich nicht unhöflich erscheinen wollte, ergab ich mich meinem Schicksal und ließ es zu, dass der Mann mich in seine Arme von der Stärke eines Baumstamms zog.
Giovannis Finger verkrampften sich um meine und in meinem Kopf ertönte ein tiefes Knurren. Als der Fremde endlich fertig geknuddelt hatte, warf ich Giovanni einen entschuldigenden Blick zu. Dann erinnerte ich mich aber an seine Bemerkung meine Eifersucht betreffend in dem schmuddeligen Motelzimmer und fügte noch ein Eifersüchtig? in Gedanken an.
»Wie unhöflich von mir«, unterbrach uns der Hüne von einem Mann. »Ich bin Dante, der Assistent von Signore Vincenzo. Ermano und ich, wir kennen uns schon eine Ewigkeit.«
Signore Vincenzo war der Vampir, bei dem Ermano uns einquartiert hatte und der mir bei meiner Wandlung helfen sollte. Laut Ermano ein sehr alter Meistervampir und sein Erzeuger.
» Lissianna und Giovanni«, stellte uns unser Herr und Reisemeister vor. Ermano nahm die Taschen wieder auf, die er für die feierliche Umarmung auf den Fußweg abgestellt hatte.
Irgendjemand stürzte laut nach einem Taxi rufend aus dem Flughafengebäude. Er stolperte über meine Tasche, die Giovanni gerade anheben wollte, und griff reflexartig nach meinem Arm, um sich daran festhalten zu können. Dante riss mich beiseite, bevor der Mann seine Finger in Giovannis Lederjacke krallen konnte, und schob sich wie ein Bodyguard vor mich. Dann zog er den Fremden an seiner schwarzen Anzugjacke auf die Füße und knurrte ihn an.
Der Mann blickte sich Hilfe suchend um und stotterte eine Entschuldigung auf Deutsch. »Tut mir leid. Ich hab es etwas eilig.« Er strich seinen Anzug glatt und fuhr sich durch sein kurzes blondes Haar. Dante versperrte ihm weiter den Fluchtweg.
Mit der Faust boxte ich Dante in den Oberarm und schob mich an ihm vorbei. »Lass ihn gehen«, zischte ich. »Es war ein Unfall.«
Der Mann nickte bestätigend und Dante gab zögernd den Weg frei. Zum Dank ergriff der Fremde meinen Arm und schüttelte mit der anderen meine Hand.
»Weißt du, spar dir so was in Zukunft, ich habe schon zwei Babysitter«, sagte ich mit Blick auf Ermano und Giovanni.
Dante straffte die Schultern, streckte sich zu seiner vollen einschüchternden Größe und musterte Giovanni abschätzig. Die ausgeprägten Muskeln im Gesicht zuckten um die Mundwinkel herum.
»Dein Geschöpf?«, fragte er Ermano mit abfälligem Tonfall.
»Mein Freund und Gefährte«, antwortete Ermano. Die alten Vampire kommen sich den Jüngeren gegenüber immer überlegen vor , sandte er mir mit einem entschuldigenden Lächeln.
Ermano hatte wohl bemerkt, wie ich bei Dantes Kommentar zusammengezuckt war. Ob älter und vielleicht auch stärker als Giovanni, wir lebten doch nicht mehr im Mittelalter. Diese herablassende Äußerung hatte gereicht, um mir eine Meinung über diesen Muskelprotz mit Adlernase zu bilden. Verärgert stiefelte ich an dem Mann vorbei auf die Limousine zu, die direkt hinter ihm mit offener Tür und wartendem Chauffeur stand. Dieses glänzend schwarze Gefährt schrie geradezu »reicher Vampir«.
Giovanni lachte in meinen Kopf hinein. Du musst dich nicht ärgern. Bei den Vampiren gilt, je älter, desto mächtiger. Dante war Gladiator im Römischen Reich. Darauf bildet er sich eine Menge ein. Er ist mehr als tausendfünfhundert Jahre alt. Ich glaube, er weiß selbst gar nicht genau, wie alt er wirklich ist.
Giovanni erntete dafür von mir eine gedankliche Grimasse. Sollte er sich solch eine Behandlung doch gefa llen lassen, das musste noch lange nicht heißen, dass es mir gefiel.
Der Chauffeur nahm mit einer schwungvollen Geste seine Schirmmütze ab und verneigte sich vor mir. Einen kurzen Moment war ich geneigt, meine schlechte Laune zu vergessen. Man wurde ja nicht alle Tage wie eine Prinzessin behandelt.
Etwas ungeschickt krabbelte ich in den Innenraum unserer Nobelkutsche und zog meinen
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